Das Datum ist kein Zufall: Thilo Sarrazins neues Buch erscheint am 30. August. Auf den Tag genau acht Jahre zuvor veröffentlichte der frühere Berliner SPD-Finanzsenator und Bundesbanker seinen ersten und politisch höchst umstrittenen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“.
Nun präsentiert Buch-Millionär Sarrazin erneut Thesen, die für heftige Kontroversen sorgen dürften. „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“, lautet der aktuelle provokante Titel. 496 Seiten lang ist das Buch, 69 Seiten davon allein der Anhang, mit dem Sarrazin seine Behauptungen zu untermauern versucht. Das gelingt nicht immer – dazu später mehr. Zunächst die Frage: Was behauptet der 73-Jährige in seinem neuen Werk überhaupt?
Das sind die Haupt-Thesen aus Sarrazins Buch:
- Der Islam behindere in seiner – bei der Mehrheit der Muslime praktizierten – konservativen Ausrichtung freiheitliches Denken, Gleichberechtigung, Geburtenkontrolle und wirtschaftlichen Erfolg. „Nimmt man den Koran auch nur einigermaßen beim Wort, so ist der Islam beim besten Willen keine Religion des Friedens“, schreibt Sarrazin. Den Koran habe er gelesen, betont er – und widmet der Religion des Islam und dessen am Ende subjektiver Deutung ein ganzes Kapitel in seinem Buch.
- Liberale Muslime seien eine „winzige, hoffnungslose Minderheit“, schreibt Sarrazin. Daher seien die islamischen Staaten im Durchschnitt rückständig im Vergleich mit der westlichen Welt in Bezug auf Wirtschaft, Bildung, Kultur und Demokratie. Sarrazin schreibt provokant: „Stark sind die islamischen Länder nur beim Bevölkerungswachstum. Schwach sind sie bei der Schaffung von Wohlstand, schwach sind sie bei der Bildung ihrer Menschen, und schwach sind sie in Wissenschaft und Technik.“
- Sarrazins Kernforderung geht weit über das hinaus, was etablierte Parteien in Deutschland zur Begrenzung der Zuwanderung: Er will „die Einwanderung von Muslimen grundsätzlich unterbinden“. Wie das mit dem im Grundgesetz verankerten Asylrecht sowie dem in Artikel 3 verankerten Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion einhergehen soll, bleibt sein Geheimnis. „Man muss verhindern, dass sich das demografische Gewicht der Muslime in Deutschland und Europa weiterhin durch Einwanderung und Geburtenreichtum kontinuierlich verstärkt“, schreibt Sarrazin.
- Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in Europa und Deutschland werde in den nächsten Jahrzehnten weiter deutlich steigen. Sarrazins Argument: Sowohl muslimische Staaten als auch die muslimischen Gruppen in Europa wiesen ein überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum auf. Muslime stellten zudem einen Großteil der aktuellen Einwanderer nach Europa. Sarrazin greift in seiner Argumentation auf aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes zurück: Rund 8 Prozent der 83 Millionen Menschen in Deutschland stammen demnach aus vorwiegend islamischen Ländern. Bei den Kindern unter fünf Jahren ist der Anteil demzufolge bereits bei knapp 15 Prozent.
- „Im Durchschnitt werden 2050 14 Prozent aller Europäer Muslime sein, in Deutschland wird der Anteil bei knapp 20 Prozent liegen“, prognostiziert Sarrazin. Er verweist bei diesen Zahlen auf eine Studie des etablierten Pew-Research-Centers. Sieht man sich die Studie an, entdeckt man jedoch, dass Sarrazins vermeintliche „Durchschnitts“-Zahlen den Forschern zufolge nur im Szenario der „hohen Migration“ eintreten werden – also, wenn sich die Flüchtlingszahlen aus den Jahren 2014 bis 2016 fortsetzen und zusätzlich reguläre Einwanderung erfolgt. Die Flüchtlingszahlen sind jedoch bereits gesunken seitdem. Zum Vergleich: Im Szenario der „mittleren Migration“ hingegen, also wenn nur reguläre Zuwanderung nach Deutschland erfolgt und keine Flüchtlinge mehr hierherkommen, läge der Anteil der Muslime bis 2050 bei knapp elf Prozent.
- Gleichzeitig sorge der rückständige Islam, den die Mehrheit der Muslime praktiziere, dafür, dass es kaum gelungene Integration und zu wenig Deutschkenntnisse gebe, schreibt Sarrazin. Die nachfolgenden Generationen der Muslime hätten im Durchschnitt eine schlechtere Schulbildung, wenig wirtschaftliche Erfolge und eine erhöhte Kriminalität. Zudem seien sie wenig aufgeschlossen für Demokratie und Gleichberechtigung. Sarrazins Fazit: Die „religiös gefärbte kulturelle Andersartigkeit der Mehrheit der Muslime“ und deren steigende Geburtenzahlen gefährdeten die offene Gesellschaft, Demokratie und den Wohlstand.
- Flüchtlinge müssten möglichst in der Nähe ihrer ursprünglichen Lebensgebiete versorgt werden. Die Ankunft von Flüchtlingen in Europa müsse verhindert werden, um Asylmissbrauch zu unterbinden. Boote im Mittelmeer sollten aus seiner Sicht an ihren Ausgangspunkt zurückgebracht werden. Illegale Einwanderer und in Deutschland abgelehnte Asylbewerber will Sarrazin „unverzüglich und ausnahmslos“ abschieben.
Was jenseits der politischen Bewertung auffällt: Sarrazins Verallgemeinerungen
Unabhängig von politischen Bewertungen fallen in dem umfangreichen Text mit zahllosen Zitaten und Quellenangaben immer wieder Verallgemeinerungen, Übertreibungen und Unstimmigkeiten auf. So heißt es: „In großen Teilen der muslimischen Welt werden die jungen Mädchen beschnitten“ und „Überall in der islamischen Welt können Frauen ihr Kopftuch nicht ablegen, ohne in höchste Gefahr zu geraten“. Experten widersprechen da vehement, weil Beschneidungen vor allem in bestimmten afrikanischen Ländern ein großes Problem sind und Kopftücher keineswegs überall die Regel.
Über Berlin-Neukölln schreibt Sarrazin, „die achtjährigen Mädchen in der Schule“ wüssten bereits oft, welchen Vetter sie einmal heiraten werden. Freibäder würden „immer wieder (...) von Jugendlichen und jungen Männern türkischer und arabischer Herkunft terrorisiert“. Die Probleme in den Freibädern sind tatsächlich eher Einzelfälle, und auch nicht alle achtjährigen Mädchen in Neukölln sind von Zwangs- und Verwandtenehen bedroht. Schulessen ohne Schweinefleisch setzt Sarrazin mit dem im Islam vorgeschriebenen Essen nach den „halal“-Vorschriften gleich. Deckungsgleich ist das allerdings nicht.
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Schwierig: Sarrazin geht immer von schlimmstmöglicher Prognose aus
Insgesamt wählt Sarrazin bei seinen Prognosen vor allem die schlimmstmögliche Variante. Wie weit das Leben in westlichen Gesellschaften Einwanderer verändert und zur Anpassung an die Moderne bringt, weiß niemand genau und lässt sich für die nächsten Jahrzehnte schwer vorhersagen.
Schon vor dem Erscheinen des Buches meldeten sich Kritiker, die Sarrazin heftig widersprachen. Sarrazins Ex-Verleger Thomas Rathnow (Verlagsgruppe Random House) begründete in der „Zeit“, warum er das Buch nicht herausbringt: Der Autor argumentiere „schwach“ und entwerfe ein Bild des Islams, das „einer Geißel der Menschheit gleichkommt“. Auch werde „jemandem mit einer korangeprägten Mentalität (...) kaum eine individuelle Entfaltung zugestanden“. Rathnow sagte, er habe zudem in der politisch aufgeladenen Stimmung die Gefahr gesehen, dass „antimuslimische Ressentiments verstärkt werden“.
Die Berliner Grünen warfen Sarrazin vor, die Gesellschaft zu spalten und Gewaltausbrüche anzuheizen. „Wer pauschal gegen einzelne Religionen hetzt, legt damit den Grundstein für rechtsextreme Gewalt und ist damit Teil des Problems.“ Der Landesvorsitzende Werner Graf erklärte: „Für Thilo Sarrazin ist der Islam an allem schuld. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern völlig ignorant.“ Sarrazin liefere „einen Brandbeschleuniger für Hass und Gewalt“.
Einige SPD-Politiker hatten bereits angekündigt, nach Erscheinen des Buches erneut Sarrazins Parteimitgliedschaft zu prüfen. Zwei frühere Versuche waren trotz diskriminierender Bemerkungen Sarrazins über „Kopftuchmädchen“ gescheitert.
mit Agenturmaterial
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