Es sind schlimme Bilder aus Chemnitz: Ein rechter Mob zieht durch die Straßen und bedroht Gegendemonstranten, macht Jagd auf Menschen. Auch Jugendliche beteiligen sich an den Ausschreitungen. Wie lässt sich verhindern, dass gerade junge Menschen zu rechten Gewalttätern werden?
Der Anfang ist ganz trivial: „Wir sprechen mit den Jugendlichen auf Augenhöhe und nehmen Sie ernst“, sagt Streetworker Dieter Wolfer im Gespräch mit FOCUS Online. Dazu sei er fast jeden Tag auf der Straße, drehe seine Runden oder stehe an festen Treffpunkten, um mit seinen meist 13- bis 18-jährigen Schützlingen ins Gespräch zu kommen. Dabei würden er und seine mehr als 25 Kollegen in der sächsischen Landeshauptstadt erst einmal versuchen, einfach zuzuhören, so der Sozialarbeiter, der seit 1999 in Dresden tätig ist.
Teenager mit denselben Vorurteilen wie Erwachsene
Auffallend dabei sei, dass die Jugendlichen dieselben Vorurteile wie die Erwachsenen hätten, auch bei ihnen verfingen einfache Antworten, erläutert Wolfer: „Sie haben Sorgen und Zukunftsängste, etwa ob sie einen Job finden. Dann hören sie von Populisten, dass Ausländer ihnen die Arbeit wegnehmen. Das bleibt dann hängen.“
Dazu kommt: „Vor allem in Sachsen haben die Jugendlichen wenig Kontakt zu Ausländern, das ist fast eine Phobie“, fährt Wolfer, der seit 1999 auf den Dresdner Straßen unterwegs ist, fort. Während Gastarbeiter etwa im industriell geprägten Ruhrgebiet schon seit der Mitte des letzten Jahrhunderts zum Bild der meisten Städte gehören, ist der Ausländeranteil in den ostdeutschen Bundesländern weit geringer. So lag der Ausländeranteil in Sachsen 2017 bei 4,4 Prozent lag, während die Quote in Nordrhein-Westfalen bei rund 14 Prozent lag. Jungen Leute haben in Sachsen also viel weniger persönliche Erfahrungen mit Migranten und sind daher vermutlich eher bereit, unwahre, negative Geschichten über Migranten, die von Populisten in Umlauf gebracht werden, zu glauben.
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Streetworker: „In den Schulen muss diskutiert werden“
Genau hier versucht der Streetworker anzusetzen und in langen Gesprächen Vorurteile abzubauen, gegen rechtsextreme Einstellungen vorzugehen und die Jugendlichen zur Demokratie und den demokratischen Werten zu erziehen. Deshalb treten er und seine Kollegen auch vor Schulklassen auf. „In den Schulen muss diskutiert werden! ‚Was hast du genau gegen Ausländer, kennst du einen Ausländer persönlich?‘ Wir müssen mit den Jugendlichen reden und ihnen zeigen, dass ihre Vorurteile falsch sind und sie dem rechten Gedankengut nicht glauben dürfen“, erklärt Wolfer.
Dabei seien gerade Schulen, aber auch generell Erwachsene in der Pflicht, zu diskutieren und Denkanstöße zu geben. Außerdem sei es wichtig, dass die Jugendlichen auf Ausflügen oder Aktivitäten beschäftigt würden und andere Umgebungen kennenlernten. „Partizipation ist wichtig, das gibt ihnen Halt“, sagt der Straßensozialarbeiter.
Populisten heizen die Debatte auf
Wolfer glaubt auch zu wissen, woher die aggressive und aufgeheizte Grundstimmung kommt: „Die Populisten haben auf jeden Fall einen Anteil daran, dass rassistische und rechtsextreme Ausdrücke und Begriffe wieder salonfähig werden, sie schüren Vorurteile und Ressentiments.“ Konkret nennt er zwar keine Partei beim Namen, aber: Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass gerade AfD-Politiker immer wieder Vorurteile und Ängste gegenüber Migranten bedienen.
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Dabei stellt Wolfer ein Gefühl in der Bevölkerung fest, das er nicht recht einordnen kann: „Es herrscht momentan eine Stimmung des ‚Wir kommen zu kurz‘, und ich kann mir nicht wirklich erklären, woher die kommt“, sagt der Streetworker. „Eigentlich geht es uns in Deutschland doch gut, viele Menschen haben Arbeit.“
Darum sei es noch wichtiger, dieser Stimmung mit noch mehr Aufklärungsarbeit zu begegnen. Doch dafür fordert der Streetworker mehr Mittel: „Präventive Maßnahmen und Projekte müssen besser ausgestattet und finanziert werden.“ Das sei angesichts der anhaltenden Zuwanderung, der Ängste und Sorgen der Jugendlichen und auch angesichts von Ausschreitungen wie in Chemnitz schlicht notwendig.
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