Ein verbaler Streit führte zum Tod des Daniel H. beim Stadtfest in Chemnitz. Gegen drei Uhr nachts wurde der Tischler mit kubanischen Wurzeln erstochen, zwei weitere Freunde kamen schwer verletzt ins Krankenhaus.
Die Tatverdächtigen, ein Syrer und ein Iraker, wanderten in Untersuchungshaft. Was sich danach in der sächsischen Stadt abspielte, erinnert an die dunklen Stunden rechtsradikaler Aufmärsche und Übergriffe auf ausländische Wohnheime zu Beginn der 90er Jahre in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen.
Der nationalistische Mob in Chemnitz soll teils Jagd auf Migranten gemacht haben, Krawalle provoziert und den volksverhetzenden Hitlergruß gezeigt haben – auf die Randale von rechts folgte postwendend die Antwort aus einigen Teilen linker Gegendemonstranten. Dazwischen versuchte, wie es scheint, eine teils überforderte Polizei die Lage zu beruhigen.
Tod eines unbescholtenen Menschen wird ausgenutzt
Der gewaltsame Tod eines unbescholtenen Menschen wird durch interessierte politische Kreise ausgenutzt. Allen voran durch die rechtspopulistische Gruppe „Pro Chemnitz“, aber auch durch AfD, Pegida sowie Vereinigungen aus der Neo-Nazi-Szene nebst nationalistischer Hooligan-Milieus.
Plötzlich dient der Deutsch-Kubaner Daniel H. als Vorwand für rassistische Ausschreitungen. Flankiert durch rechte Blogger, die offen oder teils unterschwellig etablierten Politikern der so genannten „Mainstream-Presse“ eine Mitschuld an der Eskalation geben.
Die gesteuerte Empörungswelle schwappt mittlerweile auch in den Westen. Am Dienstagabend protestierten rund 80 rechte Demonstranten am Breslauer Platz in Köln. Die Polizei musste die Kundgebung von einem weitaus größeren Aufzug linker Gegendemonstranten trennen. Beide Veranstaltungen verliefen friedlich.
Inzwischen beginnen auch linksextreme Kreise das Totschlagsopfer für sich zu vereinnahmen. „Antifaschistischer Arbeiter in Chemnitz erstochen“, titelt das Blog linkezeitung.de. Um dann in höchst krudem Ton weiterzuschreiben: „Die Mörder, die Daniel und seine Kumpels nachts mit Messern angestochen und ihn getötet haben, waren allerhöchstwahrscheinlich Schweine und verdienen den Zorn und die Gerechtigkeit des Volkes.“ Sätze, die auch in einem Neo-Nazi-Blog stehen könnten.
Dann aber wird klar, wessen Geistes Kind die Autorin ist: „Und das Volk, das sind eben alle Ausgebeuteten und Unterdrückten Chemnitzer, unabhängig ihrer Nationalität. Das Volk, das sind Daniels Tischlerkollegen, seine kubanische und deutsche Familie, das sind seine verletzten russischen Freunde und alle anderen Freunde, welcher Nationalität auch immer.“ Zum Beweis wird das Todesopfer mit einem Auszug aus seiner Facebook-Seite zitiert: „Die Nationalität ist völlig egal! Arschloch ist Arschloch!“.
Haftbefehl kursierte im Netz - Staatsanwaltschaft ermittelt
Es ist nur ein Teil der Wirrnisse, die sich um den Fall des getöteten Handwerkers ranken. Am Dienstagabend erhielt der Autor den Haftbefehl gegen die beiden mutmaßlichen Messerstecher Yousif Ibrahim A. einem 22-jährigen Iraker und dem 23-jährigen Mitbeschuldigten Alaa S. per WhatsApp. Das vertrauliche Dokument war offenbar über dunkle Kanäle von den Ermittlungsbehörden oder Anwälten an die rechtsextreme Plattform „Pro Chemnitz“ gelangt. Die Partei stellte das Dokument zeitweilig ins Netz.
Polizei und Justiz bestätigten am Mittwoch die Echtheit des Dokuments. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden sagte zu FOCUS Online, man ermittele wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Aus Gründen der Objektivität sei das Verfahren von Chemnitz übernommen worden. Zudem untersuche die Zentralstelle Extremismus in Sachsen die gewaltsamen Ausschreitungen während der Demonstrationen.
Laut Haftbefehl trugen die inhaftierten Asylbewerber beide ein Messer, als sie mit der Gruppe um Daniel H. in Streit gerieten. Gleich fünf Mal soll Yousif Ibrahim A. auf den 35-jährigen Familienvater eingestochen haben. Sein Komplize soll an der Tat mitgewirkt haben. Daniel H. starb an den Stichen in die Brust.
Die Spur führte bald zur Festnahme der Zuwanderer. Vor dem Haftrichter räumte offenbar einer der Verdächtigen, der 23-jährige Syrer, die Tat ein. Zugleich bestätigten zwei weitere Augenzeugen das Geschehen. Zudem hatte die Mordkommission mit Hilfe eines Fährtenhundes den Ablauf der Auseinandersetzung rekonstruieren können.
Was genau der Auslöser für den tödlichen Konflikt war, wollte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Chemnitz am Mittwoch mit dem Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht mitteilen. Nur so viel, dass einer der beiden ebenfalls verletzten Freunde des Getöteten die Klinik inzwischen verlassen konnte.
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Auf Facebook sprach Daniel H. sich gegen Rassismus aus
Spärlich fließen die Informationen in dem Fall. Das gilt auch für das Opfer. Daniel H. hinterlässt eine Frau und ein Kind. Seine Mutter war Deutsche, der Vater Kubaner. Eine Vita, die so gar nicht zur fremdenfeindlichen Ideologie der neuen rechtsextremen Apologeten passen will.
Das Facebookprofil H.s lässt keinesfalls auf eine nationalistische Einstellung schließen. Eher finden sich Sinnsprüche von Reggae-Ikone Bob Marley und Buddha. Zugleich warnte der Mittdreißiger vor der Hetze gegen andere Religionen. So forderte er seine Community auf, zwischen den Dschihadisten des „Islamischen Staates“ und dem Islam klar zu differenzieren. Sein Profilfoto mit Sonnenbrille zeigt einen lockeren Typen. Einen, der dafür plädiert, Cannabis zu legalisieren und sich in seinen Posts gegen Rassismus wendet.
Dass die gewaltbereiten rechtsextremen Ultras „Kaotic Chemnitz“ im Netz für rechte Kundgebungen auf dem Rücken des Opfers mobil machten, könnte folgenden Grund haben: Laut Medienberichten soll Daniel H. Fan des Chemnitzer FC gewesen sein. Allerdings sei er weder Hooligan noch AfD-Anhänger gewesen, hieß es.
Dieser Umstand aber kümmert die rechtsextreme Szene wenig. Für Donnerstag hat „Pro Chemnitz“ zu einer neuen Kundgebung „gegen die Messermänner“ aufgerufen. Am kommenden Samstag wollen AfD und Pegida mit einem Schweigemarsch durch die Chemnitz die Stimmung anheizen. Zuvor hatte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen sich dagegen verwahrt, die AfD schüre eine fremdenfeindliche Stimmung in Chemnitz. „Wir gießen da nicht Öl ins Feuer, sondern da ist eine finstere Stimmung im Land, die nur zu begründet ist“, sagte er am Mittwoch SWR Aktuell.
Die Sicherheitsbehörden sind jedoch alarmiert. Mit einem Großaufgebot wollen sie verhindern, dass sich Bilder wilder Randale in Chemnitz wiederholen.
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