Gewaltbereite Hooligans und Neonazis marschieren an zwei Tagen durch Chemnitz. Es wird Jagd auf Ausländer gemacht und Angst verbreitet. 6000 Demonstranten aus dem rechten Spektrum standen am Montagabend etwa 1500 Gegendemonstranten gegenüber – dazwischen knapp 600 Polizisten.
Zwar lobt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer den Polizeieinsatz seines Landes. Doch die Polizei muss sich dem Vorwurf mangelnder Einsatzplanung stellen. Die Nacht zum Dienstag endete mit Krawallen und Verletzten. Vor allem wegen der wenigen Einsatzkräfte stehen die Sicherheitsbehörden nun in der Kritik.
Der Landesverfassungsschutz hatte die sächsische Polizei laut einem Bericht des „Tagesspiegels“ frühzeitig vor einem organisierten Aufmarsch von Neonazis gewarnt. „Warum das in die Lageeinschätzung nicht ausreichend eingeflossen ist, entzieht sich unserer Kenntnis“, sagte Verfassungsschutz-Sprecher Martin Döring.
Laut Verfassungsschutz reisten zu der Demo am Montag Hooligans und Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet nach Chemnitz. Wer marschierte da mit und wie gelang es dem rechten Mob überhaupt, bundesweit Teilnehmer zu mobilisieren?
Die rechten Demonstranten kommen aus verschiedenen Gruppierungen:
1. Ultras und Hooligans wie „Kaotic Chemnitz“
„Kaotic Chemnitz“ ist eine der Gruppierungen, die bei Facebook zu der Kundgebung am Sonntag aufriefen. Der sächsische Verfassungsschutz stuft die Gruppierung als rechtsextrem ein. Vom Chemnitzer FC hatte „Koatic Chemnitz“ 2012 ein Auftrittsverbot bekommen. Zahlreiche Anhänger waren zuvor Mitglied bei den inzwischen verbotenen „Nationalen Sozialisten Chemnitz“. Der Kern rechtsextremer Hoolingans wird von Experten der Szene auf etwa 100 bis 150 Personen geschätzt.
2. Neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“
Der Verfassungsschutz beobachtet die neonazistische Kleinpartei bereits seit Jahren. Die Gruppierung gründete sich im Jahr 2013, konnte im Jahr 2017 „ihre Strukturen nicht ausbauen“, wie der Verfassungsschutz im Verfassungsschutzbericht schreibt. „Der III. Weg“ lehnt das Wertesystem der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Entscheidungsträger in höheren Hierachieebenen werden von der Partei als „Feinde“ angesehen.
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3. Reichsbürger
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ lehnen die Bundesrepublik vehement ab. Zwar ist die Zahl der Reichsbürger in der Bundesrepublik gesunken und der Verfassungsschutz sieht Fortschritte im Kampf gegen die Waffennarren. Doch Grund zur Entwarnung gibt es nicht. Der sächsische Verfassungsschutz rechnet der Szene 1327 Personen zu. Der Anteil der Rechtsextremisten innerhalb des Spektrums betrug 2017 79 Personen.
4. „Identitäre Bewegung“
Die „Identitäre Bewegung“ hat ihren Ursprung in Frankreich und trat erstmals im Oktober 2012 in Deutschland über eine Facebookgruppe in Erscheinung. „Mit einer ideologischen Mixtur aus Islam- und Fremdenfeindlichkeit, völkischem Nationalismus und systemkritischem Antiliberalismus erzielte das gleichnamige Facebook-Profil der IBD in kürzester Zeit eine außergewöhnliche Resonanz“, schreibt der sächsische Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht. In Sachsen bewegt sich die Zahl der Mitglieder bei etwa 40 Personen.
Sowohl Reichsbürger als auch Identitäre wurden von Reportern vereinzelt auf den Kundgebungen gesichtet. Sie traten aber nicht in der organisierten Form auf, wie es Ultras und Hooligans taten.
5. AfD- und Pegida-Sympathisanten
Unter die rechten Demonstranten mischten sich sowohl am Sonntag als auch am Montag auch zahlreiche AfD- und Pegida-Sympathisanten. Auf der offiziellen Facebook-Seite der AfD-Sachsen wurde bereits am Sonntagmittag ein Demo-Aufruf gepostet. Man wolle sich um 15 Uhr an einem Infostand der Partei treffen, um „gegen Gewalt“ zu demonstrieren. Der Aufruf wurde mehr als 400 Mal geteilt.
Auch am Wochenende wollen die AfD und das ausländerfeindliche Bündnis Pegida wieder gemeinsam in der Stadt demonstrieren. Man wolle „gemeinsam um Daniel H. und alle Toten der Zwangsmultikulturalisierung Deutschlands trauern“, heißt es in dem Aufruf auf der Facebook-Seite der AfD Sachsen. Unterzeichnet ist der Aufruf von den AfD-Landesvorsitzenden Jörn Urban (Sachsen), Björn Höcke (Thüringen) und Andreas Kalbitz (Brandenburg). Alle drei werden zu der Kundgebung in Chemnitz erwartet.
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Wie gelang die bundesweite Mobilisierung?
Die Kerngruppen der extremen Rechten seien auf Randale aus, weil sie sich anders auf der Bühne der Öffentlichkeit und der Politik nicht bemerkbar machen könnten, sagte Extremismusforscherin Helgard Kramer von der Freien Universtität Berlin zur „Bild“-Zeitung. „Durch die neuen Kommunikationsmittel können Rechtsextremisten geballt auftreten, obwohl sie zahlenmäßig insgesamt nicht sehr bedeutend sind“, so Kramer. Die Kommunikation über E-Mails und soziale Netzwerke ermögliche es, schnell Gleichgesinnte in ihrem Umfeld zu mobilisieren.
Vor allem die“ Hooliganszene gewaltbereiter Fußballfans ist nach Ansicht des renommierten Gewalt- und Fanforschers Günter Pilz im Gegensatz zu den 80er-Jahren „ausgesprochen gut organisiert und vernetzt.“ Sie könnten sich „stabsmäßig vorbereiten und ausgesprochen schnell reagieren“, sagt Pilz. Zudem komme es immer wieder zu bedrohlichen Verbindungen. „Sie tun sich mit Leuten aus der Türsteher- und der Kampfsportszene zusammen“, warnte Pilz. „Die Szene ist stark von russischen Hooligans bestimmt, die die Kampfsportevents organisieren.“
Hooligans seien oft zeitlich flexibel – „viele verdienen sich ihr Geld im Kampfsport und in der Rauschgiftszene“, sagt Pilz. „Eine neue Untersuchung weist darauf hin, dass es eine Verzahnung zwischen Gewalt im Fußball und der Drogenszene gibt.“
Auch aus der Politik kommen nun Stimmen, dass die Alarmierungswege für Polizeieinsätze auf den Prüfstand gehörten, wie es Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) ausdrückt. Die Vorfälle in Chemnitz belegten, dass die Mobilisierung gewaltbereiter Demonstranten dank sozialer Netzwerke sehr viel schneller gehe, als man es bislang gewohnt war, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz. Da müsse die Polizei mithalten. Man müsse über engere länderübergreifende Kooperationen reden. Es dürfe auf gar keinen Fall der Eindruck entstehen, dass dem Staat die Dinge entgleiten.
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