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Friday, August 31, 2018

Margarete van Ackerens Berliner Woche - Nach Chemnitz: Zwischen Mitte und rechtem Rand kommt gefährlich was in Rutschen

Margarete van Ackerens Berliner Woche: Nach Chemnitz: Zwischen Mitte und rechtem Rand kommt gefährlich was in Rutschen
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Abscheulich, widerwärtig, abstoßend– Politiker (fast) aller Parteien haben sich vom rechten Mob, der über Tage die Straßen in Chemnitz beherrschte, glasklar distanziert. Was sich am politischen Rand entwickelt, ist hochexplosiv. Nur: Mindestens ebenso gefährlich ist die Zone zwischen dem Rand und der Mitte der Gesellschaft. Hier kommt was ins Rutschen.

Am Anfang stand das Gewaltverbrechen. Dann trieben Entsetzen und Trauer um den Tod des Tischlers Daniel H. die Menschen in Chemnitz auf die Straße. So jedenfalls besagt es die Legende der Wortführer in Sachsen. Ein simples Phantasie-Experiment verdeutlich die Verlogenheit dieser Version: Wäre der 35-Jährige selbst bei der Kundgebung am Montag erschienen, er wäre angepöbelt und womöglich auch tätlich angegriffen worden. Daniel H. war nämlich ein Deutscher mit kubanischen Wurzeln. Fremd aussehende Menschen? Auf sie!

Das Gedankenspiel illustriert kompakt, was ohnehin von Anfang an mit Händen zu greifen war – dass nämlich das Gewaltverbrechen vom Wochenende für die Rädelsführer in Chemnitz nichts als ein Vorwand war, gegen den Staat und seine Vertreter aufzutreten. Neonazis, Hooligans, Extremisten, „gewöhnliche“ Gewaltverbrecher stellten sich an die Spitze einer Bewegung, die es „denen da oben“ zeigen wollte. Grund der Demo: Hass. Ziel der Demo: ein anderes, ein braunes Land. Einfach nur abscheulich.

Gesagt, was zu sagen ist. Und jetzt?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Justizministerin Katarina Barley (SPD), die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die Spitzen von Grünen und Liberalen haben dazu – die einen sofort, die anderen ziemlich spät –gesagt, was zu sagen ist. In den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert: „In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus.“

So weit, so offenkundig am Tag sechs nach dem Tod von Daniel H.

Einige sind für die Demokratie noch zu retten

Doch wer beim bloßen Anprangern, Ächten und Beklagen stehenbleibt, mag zwar gewiss sein, auf der richtigen Seite zu stehen; das allein jedoch wird die Situation kein bisschen verbessern. Denn die zweite Kundgebung in Chemnitz war mit 5000 Teilnehmern kein bloßes Happening der Extremisten, sondern schon eine kleine Massenbewegung. Und wer verhindern will, dass im Osten und in Deutschland insgesamt noch mehr ins Rutschen gerät, muss diejenigen unter den Demonstranten in den Blick nehmen, die – vielleicht – noch für die Demokratie zu retten sind.

Wesentlich schwieriger als die Einordnung des rechtsradikalen Mobs an der Spitze der Bewegung fällt nämlich die Analyse der vielen Menschen, die da so mitlaufen. Mitläufer – selten war das Wort so passend, selten war die Einordnung so schwierig. Denn unter die Demonstranten hatten sich viele „Normalbürger“ gemischt. Mütter, Väter, Automechaniker, Rentner, Künstler. Als Motive gaben sie zum Beispiel das zu Protokoll: „Angst“ oder „ein Zeichen setzen gegen die Gewalt". Sie sprachen vom Gefühl, es seien „zu viele Ausländer in Sachsen“. Auffällig viele tönten kampfeslustig, sie wollten sich „nicht in eine rechte Ecke stellen lassen“.

Gerade die letzte Formulierung zeigt das Drama hinter dem Drama –  den tiefen Riss, der sich durch die Gesellschaft zieht: ihr da, wir hier. Weder die Politik in Dresden und Berlin noch die Medien haben darauf Antworten gefunden.

Tarnung der eigenen Hilflosigkeit

Politiker und Journalisten bringen mit immer härteren Vokabeln Ekel, Empörung und Distanzierung zum Ausdruck; mit zunehmender Dauer der Diskussion schleicht sich der Verdacht ein, die Extrem-Vokabeln könnten vom größten aller Probleme ablenken: Die Gesellschaft blickt ziemlich hilflos auf Menschen, die sich aus Angst, Trotz oder Mangel an politischer Bildung von der Demokratie abwenden. Da verschiebt sich zunehmend etwas. Von der Mitte an den Rand.

Spätestens beim Fernsehen spätabends oder am nächsten Tag hätte dem letzten arglosen Demo-Teilnehmer wahrlich dämmern müssen, wo er da so mitgelaufen ist und vor wessen Karren er sich hatte spannen lassen. Wer unter dem Zeichen des Hitlergrußes mitmarschiert, kann sich nicht mehr als sorgengebeugter Demonstrant definieren. Es braucht die klare Einsicht: Zu denen gehöre ich nun wirklich nicht.  

Moralischer Rigorismus allein hilft nicht

Dann aber muss eben auch der zweite Schritt möglich sein: Der Weg aus der gefühlten „rechten Ecke“ heraus, der Weg zurück für all diejenigen, die sich vom Nazi-Mob abwenden. Viele von ihnen sind keine Nazis. Jedenfalls noch nicht. Moralischer Rigorismus der übrigen Gesellschaft darf diesen Rückweg nicht versperren. Er triebe die Menschen nur dorthin, wo sie womöglich selbst nicht einmal hinwollen.

Und wie soll man diese Menschen überzeugen? Eine offene Demokratie ist eine sehr lohnende Alternative – der Beweis wird doch wohl zu erbringen sein! Diese Gesellschaft ist reich genug, um wirkliche Härten sozialer Probleme abzufedern. Sie ist solidarisch genug, um Menschen aufzufangen, die sich – zum Beispiel nach der Wende – benachteiligt fühlen. Und sie ist vor allem stark genug, um offene Debatten zu führen. Diskussionen mit abdriftenden Bürgern sollten nicht ängstlich-schamvoll vermieden, sondern offensiv geführt werden.

Flüchtlingspolitik kritisieren? Na klar!

Konkret: Selbstverständlich ist Kritik an Angela Merkels Flüchtlingskurs von 2015 oder von heute zulässig. Auch beinharte, bissige, vernichtende Kritik. Es ist ja gerade ein von der AfD sorgsam gepflegter Mythos („Das wird man doch wohl noch sagen dürfen ...“) so zu tun, als gebe es hier Tabus. Lasst Zahlen sprechen, lasst Fakten sprechen. Da lässt sich mancher Mythos leicht widerlegen. So kann sich jeder seine Meinung bilden.

Es ist eine besonders bittere Ironie dieser Tage, dass es die CSU war, die schon vor einigen Monaten erkannt hat, dass Politiker gerade an dieser Bruchstelle, genau dort wo sich Menschen frustriert von der gesellschaftlichen Mitte abwenden, ihre dringende Aufgabe sehen müssen. Dass sie versuchen müssen, diejenigen, die auf den rechten Rand schielen, wieder zum klaren Blick nach vorn zu bringen. Diese Menschen sind nicht verloren für die Demokratie, sie sollten auch nicht verloren gegeben werden. Die Bayern haben diese Aufgabe gesehen, aber sie sind sie grundfalsch angegangen. Sie haben sich sprachlich angebiedert, wo sie messerscharf Distanz hätte wahren müssen.

Neustart nach Fehlversuch der CSU

Also: noch einmal, mit Maß. Der Versuch ist es wert – für  die CSU und natürlich für alle demokratischen Parteien. Sie konkurrieren auf allen anderen Feldern, hier sollten sie Verbündete sein.

Es braucht eine Annäherung zwischen den Menschen, die sich Richtung rechter Rand bewegen und der Mitte. Die Mitte muss dazu offenbleiben, darf sich nicht hinter selbstgerechtem Überlegenheitsgestus verschanzen.

Die Bewegungsrichtung aber, die muss bei alledem klar sein. Die vom Rand, die müssen sich bewegen.

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