Er ist wieder da: Genau acht Jahre nach „Deutschland schafft sich ab“ hat Thilo Sarrazin am Donnerstag sein neuestes Buch präsentiert. „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“, heißt es.
Die Thesen darin haben es in sich. Das Buch gipfelt in der Forderung Sarrazins, die Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland gänzlich zu unterbinden.
Die eigene Partei will ihn loswerden – dabei war seine Kompetenz lange unumstritten
Entsprechend groß ist der Wirbel um das Werk. Islamwissenschaftler widersprechen Kernbehauptungen Sarrazins, Kritiker werfen ihm Ausländerfeindlichkeit vor und der SPD reicht es wieder einmal. „Wer wie Thilo Sarrazin“, so das SPD-Präsidium, „Menschen pauschal diffamiert und damit bei anderen massive Ängste schürt, sollte sich eine andere politische Heimat suchen.“
Die eigene Partei will Sarrazin seit Jahren loswerden – dabei war seine fachliche Exzellenz auch in der SPD lange unbestritten. Begonnen hatte Sarrazin seine Laufbahn als Beamter im Bonner Finanzministerium. Nach Volkswirtschaftsstudium und Promotion machte er dort schnell Karriere und diente seit 1975 allen Bundesfinanzministern von Hans Apel (SPD) bis Theo Waigel (CSU).
Als Finanzsenator setzte Sarrazin in Berlin einen rigiden Sparkurs durch
Unter letzterem arbeitete Sarrazin 1990 maßgeblich die Grundzüge der deutsch-deutschen Währungsunion aus. Später arbeitete er bei der Treuhandanstalt, dann als Staatssekretär in Rheinland-Pfalz und Anfang der 2000er kurz bei der Deutschen Bahn. Dort trennte er sich 2001 im Streit mit Bahn-Chef Hartmut Mehdorn.
Im Anschluss wurde er Finanzsenator in Berlin. In der überschuldeten Hauptstadt setzte Sarrazin zusammen mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) einen drastischen Sparkurs durch und verhalf dem Land 2007 und 2008 zu den ersten ausgeglichenen Haushalten seit 1949.
Erst gegen Hartz-IV-Bezieher, dann gegen Migranten: 2009 kam es zum Eklat
Schon damals fiel Sarrazin jedoch immer wieder auf mit provokanten Äußerungen über angeblich faule Hartz-IV-Empfänger. 2008 ließ er im Detail ausrechnen, dass man sich vom Hartz-IV-Tagessatz für Essen - vier Euro - ausreichend und gesund ernähren könne. Seine Partei schäumte schon da.
2009 dann kam es zum Eklat, kurz nachdem Sarrazin Vorstandsmitglied der Bundesbank geworden war. In einem Interview kritisierte er türkisch- und arabischstämmige Menschen wegen angeblich fehlender Integrationsbemühungen und sprach von der Produktion neuer „Kopftuchmädchen“. Die Bundesbank entzog ihm die Aufsicht für den Bereich Bargeld. Die SPD wollte ihn ausschließen, scheiterte aber mit dem Verfahren.
Im Video: Sarrazin fordert Einwanderungsstopp für Muslime – die meisten Deutschen sehen das anders
Sarrazin beschreibt selbst, wie er zu seinen fragwürdigen Einstellungen gelangte
Wie konnte es so weit kommen? Wie Sarrazin zu dem Menschen wurde, der er nun ist, wie er zu seinen islamkritischen Einstellungen gelangte, beschreibt der 73-Jährige in der Einleitung seines neuen Buches selbst.
„In den letzten zehn Jahren hat es sich ergeben, dass ich immer mehr Artikel und Bücher las, die in irgendeiner Form die Religion des Islam berühren“, schreibt Sarrazin, der sich selbst eher als Agnostiker denn als religiös bezeichnet. Er habe früher an ein Ende eines unaufgeklärten religiösen Glaubens geglaubt, welcher sich irgendwann vor den Gesetzen der Logik und des Wissenschaftlichen beugen würde, so Sarrazin.
Schon in den 90ern habe er gemerkt, dass er sich getäuscht habe. „Aber ich blieb grundsätzlich unbesorgt“, schreibt der 73-Jährige. „Wenn die Mullahs im Iran die persischen Frauen unter das Kopftuch zwangen“, dann schien das „doch ziemlich weit weg“. Das Buch „Kampf der Kulturen“, in dem der polarisierende Autor Samuel Huntington Konflikte im 21. Jahrhundert zwischen der westlichen Zivilisation mit dem islamischen Kulturraum prophezeite, habe er „eher lustlos“ durchgeblättert, sagt Sarrazin.
Umfrage: Welche Partei hat Ihrer Meinung nach die größte Kompetenz in der Migrations- und Integrationspolitik?
„Danach beschlich mich in Bezug auf den Islam erstmals ein Gefühl der Sorge oder des Alarms“
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 stieß Sarrazin dann auf das Buch „Among the Believers. An Islamic Journey“ von V.S. Naipaul. „Nach seiner Lektüre beschlich mich in Bezug auf den Islam erstmals ein Gefühl der Sorge oder des Alarms“, schreibt Sarrazin im Rückblick. Das Buch handelt von Naipauls Reise nach Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien.
„Eindrucksvoll beschreibt er in seinen persönlichen Begegnungen und Erlebnissen das Erstarken des islamischen Fundamentalismus vom Nahen Osten bis Ostasien und die dahinterstehende Gedankenwelt“, so Sarrazin.
Nachdem er Finanzsenator wurde, fühlte sich Sarrazin in seinen Eindrücken bestätigt
In seiner Zeit als Finanzsenator ab 2002 lernte Sarrazin nach eigenen Angaben die „besonderen Integrationsschwierigkeiten bei vielen Türken und Arabern“ kennen. Er stellte für sich fest: „Die soziale Problematik dieser Stadt war offenbar nicht zu trennen von der Problematik der muslimischen Minderheit.“
Hier den Politik-Newsletter abonnieren
Berichte, Videos, Hintergründe: FOCUS Online versorgt Sie täglich mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Politik-Ressort. Hier können Sie den Newsletter ganz einfach und kostenlos abonnieren.
Als er 2006 das Buch „Die fremde Braut“ von Necla Kelek las, sah er seine Eindrücke bestätigt. „Am Beispiel türkischer Einwanderer nach Deutschland zeigt es, dass diese größtenteils nicht etwa unsere Kultur annehmen, sondern ihre Kultur quasi in einer virtuellen Blase zu uns tragen und Assimilation verweigern“, schreibt Sarrazin. Das Buch wurde damals im Allgemeinen gelobt, jedoch auch wegen fehlender Differenzierung und pauschalisierender Vorurteile kritisiert.
Islamwissenschaftler wirft ihm "Angstmache" und "Dilettantismus" vor
Die Vorwürfe, die Sarrazin sich für sein neues Werk anhören muss, sind deutlich weitgreifender. Von „Angstmache“ und fachlichem „Dilettantismus“ sprach Islamwissenschaftler Mathias Rohe, der nicht nur Sarrazins Wortwahl und Interpretationen, sondern auch eine Faktenverdreherei kritisierte. Die SPD unterdessen lässt Sarrazins Buch auf mögliche parteischädigende Äußerungen überprüfen. Sollte ein Parteiausschluss Sarrazins beim dritten Anlauf doch gelingen, hat ihm übrigens bereits die AfD eine neue politische Heimat angeboten.
mit Agenturmaterial
No comments:
Post a Comment