Bundesgesundheitsminister Jens Spahn möchte die in der DDR bereits gültig gewesene Widerspruchslösung einführen, damit sich die Zahl der Organspenden erhöht. Er hat sich einen Drahtseilakt vorgenommen. Ohne dass es politisch gewollt ist, wird diese Gesetzesnovelle erneut eine Debatte um die Definition des Hirntods auslösen.
Biologische und moralische Bedenken
So haben einige Mitglieder des Deutschen Ethikrats in ihrer Stellungnahme von 2015 die Position vertreten: „Der Hirntod ist keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen.“ Seit er vor 50 Jahren definiert wurde, gibt es auch eine wissenschaftliche Infragestellung des Hirntods.
Selbst Befürworter der Transplantationsmedizin, wie der Direktor des Harvard Center for Bioethics, Robert Truog, und der Bioethiker Franklin Miller von den National Institutes of Health, sprechen offen aus, was jede Werbung um Organspende zu verschweigen versucht: Die Hirntoddefinition sei biologisch nicht mehr aufrechtzuerhalten, auch wenn sie derzeit die rechtliche Voraussetzung für die Organgewinnung bildet.
Hirntote sind nicht "tot"
Truog und Miller fordern eine Enttabuisierung des medizinischen Tötungsverbots. Sie sprechen offen von gerechtfertigtem Töten („justified killing“), um das Leben anderer Patienten zu retten.
Hirntote werden mit dem durch naturwissenschaftliche Methoden nicht beweisbaren, aus der Philosophie entlehnten Begriff einer „toten Person“ mit einem „noch überlebenden übrigen Körper“ zweigeteilt. Der Tod ist auf ein einziges Organ, das Gehirn, fixiert und das Sterben in seinem biologischen und sozialen Charakter eines Prozesses verleugnet.
Das Herz von Hirntoten schlägt, ihre Lungen atmen mit technischer Hilfe, sie verdauen, scheiden aus, sie wehren Infektionen ab und werden bis zu ihrem Herztod medizinisch betreut, genährt und gepflegt.
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Patienten reagieren noch auf die Organentnahme
Versuchen wir uns ein Bild von einer Organspende zu machen: Der Körper des Patienten wird mit elektrischen Schneideinstrumenten vom Brust- bis zum Schambein geöffnet. Dann durchspült man die Organe mit einer vier Grad kalten Nähr- und Kühlflüssigkeit, um Verwesungsprozesse nach der Entnahme zu unterbinden.
Bis zu 75 Prozent der Hirntoten sind noch in der Lage, auf dieses Prozedere etwa mit Hochziehen der Schulter oder Beine, Spreizen der Finger oder Schwitzen, Hautrötungen, erhöhtem Blutdruck und Puls zu reagieren. Häufig werden Schmerzmittel, ein Opioid, auf jeden Fall aber muskelentspannende Mittel zur Unterdrückung von Bewegungen verabreicht.
Nachdem der Organspender das Erscheinungsbild einer Leiche mit den klassischen Todeszeichen angenommen hat, kann die Entnahme beispielsweise von Gehörknöchelchen, Luftröhre, Knochen oder Meniskus beginnen. Es ist wenig erstaunlich, dass sich Anästhesisten und Pfleger seelischen Belastungen ausgesetzt fühlen, bei Kleinkindern ganz besonders.
Sterbende werden als Material angesehen
Die Sprache der Transplantationsmedizin verrät, worum es geht: Werden die Berührung des Tötungstabus und das der Leichenschändung durch den Begriff „Organspende“ verschleiert, so verwandeln sich Hirntote bereits in der Kommunikation zwischen dem Transplantationsbeauftragten und der Stiftung Eurotransplant in „Organangebote“.
Sie verschwinden als Patienten in einem „Spender-Pool“. Die Rede ist von einem „Herz-Lungen-Paket“ oder „lebenden Zellbestandteil“. Solche Begriffe lassen einen sterbenden Menschen nicht mehr als uns zugehörig, sondern als etwas Fremdes, als Material erscheinen.
Entgegen allen palliativmedizinischen Grundsätzen und dem Hospizgedanken nimmt diese Verdinglichung der Familie und Freunden jede Möglichkeit, einen Organspender beim Sterben zu begleiten und ihm die Hand zu halten.
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