Rund eine Woche nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen und den folgenden ausländerfeindlichen Ausschreitungen gab es auch am Wochenende mehrere Demonstrationen. Am Samstag protestierte nach Angaben der Polizei rund 8000 gegen die Flüchtlingspolitik - darunter Rechte und Neonazis. Ihnen stellten sich rund 3000 Gegendemonstranten entgegen. Dabei kam es teils auch zu gewalttätigen Konfrontationen. So kommentiert die deutsche Presse.
"Wenn die AfD behauptet, sie habe mit Rechtsextremisten nichts zu tun, dann ist das Heuchelei"
"Allgemeine Zeitung" (Mainz): Wenn die AfD behauptet, sie habe mit Rechtsextremisten nichts zu tun, dann ist das Heuchelei. Es gibt Nachweise zuhauf, wes braunen Geistes Kind viele Mitglieder oder Unterstützer der AfD sind. Ob sich die Partei von dieser "Kundschaft" tatsächlich trennen will - und kann -, erscheint derzeit mehr als fraglich. Wahr ist: Viele, die in Chemnitz im Pegida-Pulk demonstrieren, weil ein Mensch erstochen wurde, sind keine Rechtsextremisten. Ihnen muss aber klar sein, dass der schlechten Gesellschaft leicht zugerechnet wird, wer sich gemeinsam mit ihr bewegt. Wahr ist auch: Die Abschiebung von Gefährdern und Kriminellen funktioniert derzeit nicht so, wie sie zwingend müsste. Straftaten, Tötungen gar, die daraus resultieren, sind besonders erschütternd und eines Rechtsstaats nicht würdig. Hier ist dringendste Handlungsnot. Verbale Hetze à la "Messermigration" sind jedoch nicht Teil der Lösung.
"Sächsische Zeitung": Tatsächlich rührt die Pressefeindlichkeit nicht nur von den wenigen weniger seriösen Journalisten her. Denn einige Leute halten es schon für einen feindlichen Akt, dass wir überhaupt unseren Job machen, beobachten, Fragen stellen. Ungleich "schlimmer" wird es, wenn wir auch noch zeigen, was viele Demonstranten in Chemnitz nicht sehen konnten oder nicht sehen wollten: dass mehr als nur ein oder zwei Hitlergrüßer unter ihnen waren. Dass nicht nur ein oder zwei Dutzend Rassisten und Neonazis mit ihnen marschiert sind, sondern Hunderte.
"Die Politik muss handeln. Ansonsten sitzt im Bundeskanzleramt bald ein deutscher Donald Trump"
"Rhein-Zeitung" (Koblenz): Dieser Republik mangelt es an Politikern, die sich der wachsenden Spaltung der Gesellschaft entgegenstellen, indem sie sich mit den Ursachen von Gewalt- und Wutausbrüchen wie in Chemnitz beschäftigen. Dies verwundert kaum, würde es doch bedeuten, die Fehler der eigenen Politik zu hinterfragen. Und dabei geht es keinesfalls nur um den Kontrollverlust des Staates in der Flüchtlingspolitik. Vor allem geht es um die fehlende Teilhabe großer Bevölkerungsschichten am wirtschaftlichen Aufschwung, um ein Rückzug des Staates aus Schulen oder Jugendeinrichtungen, um ein Verweigern von Antworten auf wachsende Zukunftsängste angesichts von Globalisierung und alternder Gesellschaft. Wenn wie in Chemnitz rechte Parolen tief in bürgerliche Schichten hineinwirken und selbst Familien schon tief gespalten sind, dann muss Politik handeln. Ansonsten sitzt im Bundeskanzleramt bald ein deutscher Donald Trump.
"In allen Punkten hapert es in Deutschland"
"Neue Osnabrücker Zeitung": Darf es überraschen, dass die AfD nach Chemnitz in der Wählergunst zulegt? Die Partei, immerhin drittstärkste im Bundestag, ist mit einem einzigen Thema, der Flüchtlingspolitik, groß geworden. Solange die etablierten Parteien bei diesem Thema weiter hilflos vor sich hin stolpern und der AfD Raum lassen, kann sie wachsen, und zwar in die bürgerliche Mitte hinein. Von dort kommt der Zuwachs in der Wählergunst auf bundesweit inzwischen 15 Prozent. Da gibt es viele, die vom Staat enttäuscht sind. Mit Recht verlangen sie einen Staat, in dem die Gerichte schnell entscheiden, wer zu Recht in Deutschland lebt und wer nicht. Einen Staat, in dem es genug Polizisten und Richter gibt und in dem Flüchtlinge, die nicht hier sein dürfen, abgeschoben werden. In allen Punkten hapert es in Deutschland.
"Da richten sich die Blicke eben doch nicht nur nach Sachsen"
"Hannoversche Allgemeine Zeitung": Ja, es ist gut, wenn heute Bürger und Besucher in Chemnitz und Menschen anderswo in der Republik mit Kundgebungen und Musik zeigen, dass es so nicht geht. Dass Deutschlands Farben Schwarz-Rot-Gold sind - und niemand das Recht hat, sie und damit die Werte des Grundgesetzes auf den Kopf zu stellen. Aber es wird auch Zeit, ernsthaft darüber zu streiten, was sich nun ändern muss, damit die Gesellschaft frei beisammenbleibt. Da richten sich die Blicke eben doch nicht nur nach Sachsen.
Straubinger Tagblatt: "Hätten die Bürger das Gefühl, dass die etablierten Parteien offen über die Probleme diskutieren und sie beherzt anpacken, dass Außenminister Maas sich zum Beispiel darum kümmert, dass Staaten, die sich bisher weigern, ihre Landsleute wieder aufnehmen, wäre das das beste Mittel, der AfD und Pegida endlich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch stattdessen wird nach der Zivilgesellschaft gerufen. Das ist nicht so mühsam."
"Mit ihren schablonenhaften Beurteilungen erreichen Politiker viele Bürger nicht mehr"
"Heilbronner Stimme": Wie weit Teile der Politik von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt sind, macht ja schon deutlich, dass sie diese Spaltung weder erkennen noch wahrhaben wollen. Mit ihren schablonenhaften Beurteilungen erreichen sie viele Bürger nicht mehr und beschönigen die Situation. Das aber spüren Menschen, die sich in der Folge Protesten und Protestparteien anschließen. Weil sie sich nicht mehr mitgenommen fühlen, wenn sie Probleme in der Zuwanderung thematisieren wollen. Weil ihnen die finanziellen Dimensionen der Integration sowie eine viel zu oft statistisch beschönigte, jedoch real existierende Zunahme der Flüchtlings-Kriminalität Angst machen.
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