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Monday, September 3, 2018

Stadt atmet durch - „Wir sind mehr“: 65.000 zeigen bei Konzert friedlich das „andere Gesicht von Chemnitz“

Stadt atmet durch: „Wir sind mehr“: 65.000 zeigen bei Konzert friedlich das „andere Gesicht von Chemnitz“
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Nach chaotischen Tagen hat Chemnitz am Montagabend ein beeindruckendes Zeichen gesetzt: Rund 65.000 Menschen sind unter dem Motto „Wir sind mehr“ dem Aufruf von Musikern gefolgt, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufzustehen. Zu den Bands zählten neben den Toten Hosen die Chemnitzer Band Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet.

Die Atmosphäre auf dem Parkplatz vor der Johanniskirche wirkt nach dem Druck der letzten Tage fast befreiend. Schon lange vor Konzertbeginn um 17 Uhr strömen Tausende vor allem junge Leute aus Sachsen und anderen Bundesländern friedlich auf das Gelände im Herzen von Chemnitz. Und dies nur drei Tage, nachdem in der Innenstadt die Luft gebrannt hatte. Nachdem Chaoten des rechtsextremen Spektrums aus dem „Trauermarsch“-Zug von AfD, Pegida und dem rechten Bündnis „Pro Chemnitz“ Polizeieinheiten aggressiv bedroht hatten.

Aufgerufen zu dem Konzert hat das Bündnis „Wir sind mehr“. Mit einem Gratiskonzert wollen die Toten Hosen, die Chemnitzer Gruppe Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern sowie K.I.Z., Trettmann und Marteria und Casper ansingen gegen rechte Hetze.

Begeisterung beim Lokalmatador

Die Erwartungen wurden übertroffen: Hatten sich über den Facebook-Account etwas mehr als 20.000 Menschen für das Konzert angemeldet, kamen am Ende rund 65.000 nach Chemnitz. Und damit mehr als zehnmal so viele, wie am vergangenen Wochenende mit der AfD demonstriert hatten.

Franziska: „Möchte nicht, dass meine Familie weiß, dass ich hier bin“

Mandy und Franziska kennen beide Seiten. Sie stammen nicht aus Chemnitz, sondern aus zwei Orten südlich im Erzgebirge. Sie bitten, ihre richtigen Namen nicht aufzuschreiben und auch nicht die Orte zu nennen. „Ich möchte nicht, dass meine Familie davon erfährt, dass ich mit meiner Freundin hier bin. Denn sie fände das nicht gut“, bittet Franziska.

Auf die Nachfrage, wo denn das Problem liege, schiebt sie etwas leiser nach, sodass sie bei der lauten Musik kaum noch zu hören ist: „Meinem Vater geht es superklasse. Er ist pensioniert, bekommt eine Spitzenrente, es geht ihm wirklich gut. Aber er wählt AfD. Weil er sagt, dass seine Stimme verschenkt sei an die anderen Parteien, weil sich da ja eh nichts ändere. Ich weiß aber nicht, warum er das tut. Ich habe es dabei belassen und nicht nachgefragt.“

Es gäbe auch mehrere Verwandte, die der NPD eher nahe stünden. Sie wolle einfach keinen Streit in der Familie deswegen und könne als Frau zu dem Thema „eh nicht so frei reden, wie ich wollte“.

„Regierungen in Dresden und Berlin müssen schnell was tun“

Mandy kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe der Kleinstadt, in der Fransziska wohnt, und hat solche Beobachtungen nicht gemacht. Sie bestätigt aber, dass auch viele Leute kennt, denen die fremdenfeindlichen Parolen von Pegida und AfD gefallen. „Und das sind keinesfalls arme Schlucker oder dumme Leute, sondern Selbstständige, die es zu etwas gebracht haben. Und die trotzdem AfD wählen, obwohl diese Partei keine Lösungen anbietet.“

Was beiden fehlt, sind jedoch zugleich „neue, strukturiertere Pläne“, wie zum Beispiel Flüchtlinge integriert werden könnten. „Mehr Streetworker, die helfen, bessere Freizeitangebote auch für unsere Jugendlichen“, meint Mandy. Und ihre Freundin schiebt nach: „Ich finde es auch nicht in Ordnung, dass die Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen. Jeder Mensch braucht Arbeit, sonst wird er verrückt und fühlt sich nutzlos.“

„Sachsen braucht Liebe“

Völlig begeistert von der friedlichen und freundlichen Atmosphäre zeigen sich Reinhard und Viola aus Augustusburg, das zehn Kilometer östlich von Chemnitz liegt. Sie sind umringt von einem wogenden Plakatmeer mit Sprüchen wie „Rassismus tötet!“, „Sachsen braucht Liebe“ oder „Stoppt die Jagd nach Muslimen“.

„Es ist zwar nicht so meine Musik“, sagt der 69-Jährige, „aber für mich und meine Frau ist es wichtig, hier zu sein, um zu zeigen, dass die Chemnitzer nicht alleine sind. Und wir freuen uns riesig darüber, dass so viele Menschen gekommen sind, die ein Zeichen geben können, dass die Bilder aus den vergangenen Tagen nicht die typischen sind, die Chemnitz prägen. Dies ist das andere Gesicht von Chemnitz, das der großen und toleranten Mehrheit“.

„Kein Zufall, dass viele Ältere nicht hier beim Konzert sind“

Reinhard ist nicht entgangen, dass er und seine Frau hier deutlich zu den älteren Besuchern zählen. Und es freue ihn sehr, dass es so viele junge Menschen zwischen 20 und 30 gäbe, die hier friedlich für eine tolerante Gesellschaft eintreten. „Ich befürchte, dass es kein Zufall ist, dass die etwas älteren Jahrgänge fehlen, denn es gehen noch immer viel zu wenige Demokraten auf die Straße. Und ein bestimmter Teil dieser schweigenden Masse würde sowieso nicht kommen, weil sie AfD wählen“, sagt Reinhard.

Stimmen aus Sachsen

Ein Mann wird in Chemnitz auf offener Straße erstochen, danach kommt es zu Demonstrationen und Ausschreitungen. Sachsen steht derzeit international im Fokus. FOCUS Online wollte wissen: Wie sieht es dort wirklich aus und was denken die Menschen vor Ort über die Ereignisse? Unsere Reporter sind auf Spurensuche in Sachsen gegangen. Sie zeigen, welche Themen die Sachsen in ihrem Alltag beschäftigen. Haben Sie Angst, verspüren sie Hass? Schämen sie sich für ihr Bundesland? Und: Welche Forderungen stellen sie an die Politik?

 

„Wir sind gekommen, um Flagge zu zeigen, dass Deutschland tolerant ist – und zwar ohne Deutschlandflagge“, schiebt seine Frau Viola hinterher. Sie selbst habe sich bei den Bildern der letzten Tage, als aggressive Kundgeben und eine Ausländerhatz nach dem Mord an dem 35-jährigen Chemnitzer stattgefunden hatten, „geschämt, eine Sächsin zu sein“.

Dies gelte auch für die Äußerung von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), das Konzert verbieten zu lassen „wegen des Auftritts einer linken Bank wie Kraftklub“. „Als wenn das eine linke Band wäre – da ist doch Feine Sahne Fischfilet schon ein ganz anderes Kaliber. Das von unserem Ministerpräsidenten zu hören, hat mich wirklich betrübt“, sagt Viola.

Im Video: Regierungssprecher kritisiert – Aufmärsche von Rechtsextremisten sind keine Trauer

„Wenn du mich küsst ...“

Der Rostocker Marteria erinnerte daran, wie präsent in ihm noch die Erlebnisse der fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Lichtenhagen 1992 seien. „Ich erinnere mich, wie meine Mutter am Fenster saß und weinte, als Menschen begannen, Molotow-Cocktails auf Ausländerwohnheime zu werfen“ und ein wütender Mob von 1000 Menschen danebengestanden und applaudiert hätte. „Das darf sich niemals wiederholen“, hatte Marteria schon vor dem Konzert auf einer Pressekonferenz gesagt.

An diesem Abend jedoch in Chemnitz geht diese gigantische Demonstration friedlich zu Ende. Und immer wieder stimmen Chemnitzer Gruppen einen Refrain von „ihrem“ Kraftklub an, während sie sich auf den Nachhauseweg machen: „Wenn du mich küsst, wenn du mich küsst, dann ist die Welt ein bisschen weniger scheiße…“

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