Einen Warlord zu treffen, ist keine einfache Sache. Man schickt keine Textnachricht und verabredet sich im Café. Schon gar nicht dann, wenn dieser Kriegsfürst im Bürgerkriegsland Jemen herrscht und an der Seite des Terrornetzwerks Al-Kaida kämpft.
Der Weg zu Abul Abbas führt durchs jemenitische Bergmassiv, auf Schleichwegen abseits von Kontrollpunkten und bewaffneten Blockaden. Durch die zerbombten Häuser einer Stadt im Ausnahmezustand. Hier in Tais im Zentrum des Landes führt der Milizboss seinen ganz eigenen Krieg. Seinen Krieg, der indirekt auch vom Westen unterstützt wird.
Wer ist der Mann, dessen Gruppe viel Geld und Waffen von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) bekommt? Hinter den Zinnen der weiß getünchten Häuser der Altstadt von Tais steht eine Schule, in der Kindergeschrei längst Geschichte ist. Stattdessen stehen da Männer mit Kalaschnikows.
Erst ein Kontrollpunkt, dann zwei Autos mit bewaffneten Kämpfern vor dem Tor. Hinter ihnen, im Innenhof, stehen gepanzerte Wagen, auf denen „Abul Abbas Brigade“ steht. Einschusslöcher zeugen von den blutigen Nächten des jemenitischen Bürgerkriegs.
Verbündeter von Extremisten und Emiraten
Die Bodyguards des Warlords - eines Mannes, der sein Gebiet unabhängig von staatlichem Einfluss führt - sind streng. Vor der Tür ist Schluss. Telefonate, Nachrichten und Einladung hin oder her. Erst als der Medienbeauftragte erscheint, öffnet sich das Hauptquartier. Die Männer dort tragen lange Haare und haben sich unter den Augen schwarz angemalt. Ein Erkennungsmerkmal der Salafisten.
Der Medien-Milizionär führt einen Gang entlang, doch nicht weit. Abul Abbas - Kämpfer, Anführer, Warlord und gleichzeitig Verbündeter von Extremisten und Emiraten - regiert sein Reich aus einem Klassenzimmer im Erdgeschoss. Hinter der Tür steht er, ein Mann, der die Hand nicht zur Begrüßung reicht. Doch Abul Abbas ist bereit zu reden, um endlich etwas klarzustellen.
Rebellenkampf in großen Teilen des Landes
Der Jemen, in dem die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart wütet, ist mehrfach gespalten. 2014 überrannten die Huthi-Rebellen aus dem Norden große Teile des Landes - auch Tais, eine der größten Städte des Landes. Die international anerkannte Regierung des Landes drängte die Huthis 2016 wieder aus der Stadt heraus.
Der schwache Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi ist mit einer saudi-geführten Militärkoalition verbündet, der auch die VAE angehören und die zudem vom Westen unterstützt wird. Das sunnitische Königreich Saudi-Arabien sieht in den Huthi-Rebellen den langen Arm seines schiitischen Erzfeindes Iran. Um dessen Einfluss zurückzudrängen, scheinen der Koalition viele Mittel recht.
Schüsse in der Nacht
Tais ist heute unter den regierungstreuen Gruppen aufgeteilt, deren Kontrollpunkte über die gesamte Stadt verstreut sind. Je nachdem, wo man sich befindet, tragen die Männer andere Uniformen. Es ist so gut wie unmöglich, eine Straße entlangzulaufen, ohne Milizionäre mit Waffen zu sehen.
Tagsüber ist es ruhig in der Stadt, die einst etwa eine halbe Million Einwohner zählte, aus der wegen der Kämpfe aber viele flohen. Menschen gehen zur Arbeit, trinken Tee oder Kaffee, Kinder spielen auf der Straße. Doch mit Einbruch der Dunkelheit durchbrechen Schüsse die Stille. Wenn man Tais besucht, versucht man einen Schlafplatz zu ergattern, der möglichst weit weg von den Fenstern liegt.
Extremisten auch untereinander verfeindet
Die Truppen in Tais gehören vielen Gruppen an, aber die beiden einflussreichsten sind die Islah-Partei, bei denen es sich um islamistische Muslimbrüder handelt, und die Salafisten von Abul Abbas. Beide kämpften gegen die Huthis in Tais, beide verbindet aber auch eine Feindschaft untereinander, wie die nächtlichen Gefechte zeigen.
Brisant ist dabei, dass beide Gruppen mit Dschihadisten in Verbindung gebracht werden - von der saudi-arabisch geführten Koalition aber trotzdem viel Geld und Waffen bekommen. So bezahlt Saudi-Arabien den Sold der Kämpfer der Islah-Partei, wie zwei Quellen innerhalb der Truppe der Deutschen Presse-Agentur bestätigen. Ihre Anführer erhalten ihr Geld demnach sogar in saudischen Rial.
Verbindungen zum IS und zu Al-Kaida
Die Salafisten von Abul Abbas sind vor allem für ihre Verbindungen zu Al-Kaida bekannt. Das US-Finanzministerium setzte ihn wegen dieser Terrorkontakte und auch wegen Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im vergangenen Jahr auf eine Sanktionsliste. Ein Propagandavideo, das 2016 auf Al-Kaida-Kanälen hochgeladen wurde, zeigt Truppen der Terrororganisation, die im Gebiet Abul Abbas' in Tais kämpfen.
Der Warlord gibt trotzdem öffentlich zu, Schusswaffen, Raketen, gepanzerte Wagen und Geld von den Emiraten zu bekommen. Unterstützt vom Westen - etwa durch Waffen aus den USA oder Großbritannien - finanzieren Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate also Milizen im Jemen, die sich gegenseitig bekämpfen und Verbindungen zum IS und zu Al-Kaida haben.
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Widerstrebende Interessen in Jemen
„Ein großer Teil der Al-Kaida Operationen im Jemen sind verschleiert“, erklärt Experte Michael Horton von der Jamestown Foundation. Viele ihrer Angehörigen kämpften nicht unter dem Dschihadisten-Banner, sondern gehörten mehr oder weniger formal zu anderen Milizen. Abul Abbas sei dabei eine Figur, die zu einflussreich sei, als dass die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sie ignorieren könnten.
Die VAE sind dabei zwar Saudi-Arabiens engster Verbündeter, verfolgen im Jemen aber trotzdem eine ganz eigene Agenda. Der Kampf gegen die Huthis ist ihnen Experten zufolge weniger wichtig, dafür unterstützen sie eine Separatisten-Bewegung im Süden. Mit einem hörigen Südjemen könnten die VAE künftig besser die Handelswege und Verbindungen nach Afrika und den Eingang des Roten Meeres überwachen. Das könnte irgendwann auch zum Konflikt mit Saudi-Arabien führen.
Regierung weiß um die Extremisten
Abdel Sattar al-Schamiri, ein ehemaliger Berater des Gouverneurs von Tais, erzählt, die Anwesenheit von Extremisten unter den regierungstreuen Truppen in Tais sei auch der Regierung bewusst. Islah und Abul Abbas hätten sie in ihre Ränge aufgenommen, „um die Zahl ihrer Kämpfer zu verdoppeln und ihr militärisches Wissen zu nutzen“.
Das habe einen großen Einfluss auf die Stadt gehabt und Gewalt und Exekutionen vermehrt: „All diese Operationen waren für alle offensichtlich.“ Ein weiterer Kämpfer von Abul Abbdas mit dem Namen Harith sei als ehemaliger Al-Kaida-Anführer bekannt.
Über die Menschen, mit denen sich Abbas hier im Klassenzimmer im Erdgeschoss umgibt, kursieren nicht gerade vertrauenerweckende Geschichten. Neben dem Warlord steht Adel al-Azi. Er ist dessen Rechte Hand und wurde vor dem Ausbruch der Kämpfe von den Behörden wegen Mordes gesucht. Doch in Abul Abbas' Miliz war er willkommen. Er hat den Blick gesenkt, um die Reporterin im Raum nicht direkt anzuschauen. Das schickt sich unter strengen Islamisten nicht.
Abul Abbas: „Die Vorwürfe sind falsch“
„Lügen“, sagt Abbas mit seiner tiefen, ruhigen Stimme, den Kopf in ein traditionelles jemenitisches Tuch gehüllt. Alles Lügen. Mehr sei es nicht, was erzählt werde. Dass er Extremisten unterstütze und den Terror finanziere.
„Wieso versorgen mich die Vereinigten Arabischen Emirate mit militärischer Ausrüstung, Fahrzeugen und Waffen, wenn ich ein Terrorist bin? Das ist ein wichtiger Beweis dafür, dass diese Vorwürfe falsch sind“, schimpft Abul Abbas, seine Stimme hallt von den Wänden. Ein Foto von sich lehnt er kategorisch ab. Aus religiösen Gründen, sagt er.
Über den Warlord ist nur wenig bekannt. Der Mann Ende 30 stammt aus Tais und soll im Norden des Jemens Schüler einer salafistischen Lehreinrichtung gewesen sein. Von den Huthis vertrieben tauchte er 2015 wieder in Tais auf. Seitdem verschaffte sich Abul Abbas, dem seine Männer auch wegen seiner ruhigen und überlegen wirkenden Art bedingungslos folgen, mehr und mehr Einfluss.
Ein siegessicherer Warlord
Jetzt sieht sich Abul Abbas auf der richtigen Seite der Geschichte. „Wir haben uns einem legitimen Kampf angeschlossen.“ Als Präsident Hadi die Bevölkerung zur Mobilmachung gegen die Huthis aufrief, sei man gefolgt. Wenn das nicht mehr rechtmäßig sei, würden die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Hilfe schon einstellen.
„Ich habe mich mit Anführern der Koalition getroffen und sie meiner Bereitschaft versichert, dass diese Vorwürfe untersucht werden“, sagt Abul Abbas. Es ist die Flucht nach vorne von einem Mann, der sich siegessicher gibt.
Er redet vom Kampf gegen die Huhtis, schimpft aber viel mehr auf die Islah-Partei. Die stecke nämlich angeblich hinter den Vorwürfen gegen ihn. „Wir akzeptieren es nicht, von Milizen der Muslimbrüdern kontrolliert zu werden“. Man merkt, dass der Druck auf Abul Abbas hoch und die Islah-Partei stark ist. Ende August kündigte er schließlich an, Tais den Muslimbrüdern zu überlassen.
Der blutige Kampf geht weiter
Ob er seinen Einfluss in Tais wirklich aufgibt, ob er mit seiner gesponserten Ausrüstung wirklich abzieht, oder ob das nur ein Manöver ist? Das bleibt ungewiss. Das Außenministerium der VAE reagierte auf eine Anfrage zu Abul Abbas nicht, auch aus Washington gab es keine Erklärung.
Offensichtlich scheint nur, dass Abul Abbas immer irgendwie weiterkämpfen wird. Und dabei vor Blutbädern nicht Halt macht. Dutzende Menschen, Kämpfer und Zivilisten starben in den vergangenen Monaten bei den Kämpfen zwischen seinen Truppen und den Muslimbrüdern. Zuletzt eskalierte die Lage Mitte August. Es waren wieder einmal diese Nächte in Tais, in denen man Fenster besser meidet.
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