Merkel will in Europa - nichts! Es gibt deutsche Kandidaten für europäische Spitzenposten. Aber die Kanzlerin kämpft nicht für sie. Hier die Gründe.
Heute erklärt Frankreichs Präsident Emanuel Macron, wie es mit Europa weitergehen soll. Morgen sagt die wichtigste Europäische Parlamentariergruppe, die EVP, wie es mit Europa weitergehen soll.
Die SPD wartet noch bis Dezember bis sie sagt, wie es in Europa weitergehen soll. Und wann sagt Angela Merkel, wie es mit Europa weitergehen soll? Wenn es darum geht, wie es mit Europa weitergehen soll, geht es um das Personal, mit dem es in Europa weitergehen soll. Selten war das Feld so frei wie jetzt gerade. Der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hört auf. Der Präsident der Zentralbank Mario Draghi muss neu bestimmt werden. Und der Ratspräsident, derzeit Donald Tusk, ebenfalls. Und da stellt sich dann schon die Frage: Wer hat in Europa die größte Macht?
Draghi hat die deutschen Sparer enteignet
Formal mag das der Präsident der Europäischen Kommission sein, weil er immer mit auf den Fotos ist, die in den Zeitungen gedruckt und in der Tagesschau gezeigt werden. Wie er mit US-Präsident Donald Trump poussiert (er poussiert mit jedem und jeder). Und tatsächlich kommen rund Zweidrittel der Gesetze, die in Deutschland gültig sind, aus Europa. Aus der Sicht der deutschen Sparer ist indes der Chef der Europäischen Zentralbank der mächtigste Mann. Mario Draghi hat, etwas vulgär gesprochen, die deutschen Sparer mehr oder weniger enteignet, mehr mehr denn weniger.
Über den Autor: Ulrich Reitz
Ulrich Reitz arbeitete als Korrespondent bei der Welt, war in der Startmannschaft von FOCUS, den er zuletzt führte, und war insgesamt 17 Jahre lang Chefredakteur der beiden größten deutschen Regionalzeitungen "WAZ" und "Rheinische Post". Er beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, der kulturellen Verfasstheit Deutschlands und der Performance seiner Eliten in Politik und Wirtschaft. Reitz versteht sich als wirtschaftlich ordoliberal und politisch konservativ. Er schätzt die gepflegte Kontroverse.
Draghi kaufte Staatsanleihen. Er bewegte und bewegt damit einen gigantischen Hebel. Draghi machte die EZB zum größten Gläubiger der Euroländer. Ob er damit den Euro stabiler gemacht hat, steht noch in den Sternen. Denn seine Politik hat die notorischen Schuldnerländer ein Stück weit aus der Pflicht genommen, durch harte Politik ihre Verpflichtungen zu bedienen. Er gab leichtes Geld für harte Politik, Italien etwa nahm das Geld gerne und wurschtelte weiter wie bisher. Draghi schadet den deutschen Sparern und den Rentnern. Der deutsche Bundesbankpräsident war immer schon skeptisch gegen Draghis Politik. Darf er deshalb nicht Chef der Europäischen Zentralbank werden?
Für wen macht Merkel Politik?
Deshalb, weil das heißen würde: es gäbe ein neues Konfliktfeld zwischen Deutschland als Hartwährungsland und den Südeuropäern, Italien voran, als den traditionellen Schulden-Sündern? Nimmt deshalb Merkel Rücksicht vor allem auf Italien, wo die Vorbehalte gegen Weidmann - kein Wunder - am lautesten sind? Ein weiteres: Für wen macht Merkel Politik - Für Rentner und Sparer? Oder sucht sie nach einer Lösung für die Flüchtlingskrise?
Bei der Verteilung von Flüchtlingen auf Europa, bei den Hilfsprogrammen, die dann entschieden werden müssen, bei einer just angelaufenen neuen Afrika-Offensive, kann ihr ein Zentralbankpräsident nicht helfen. Wohl aber ein Kommissionspräsident - falls er denn so denkt wie die deutsche Kanzlerin. Außerdem hätte ein deutscher EZB-Präsident aus Merkels Sicht wohl einen zentralen Makel: Er läge nicht an ihrer Leine. Der EZB-Präsident ist unabhängig. Zu viel Macht für Jens Weidmann? An Junckers grundsätzlicher Zuwendung musste Merkel indes nie zweifeln.
Webers Chancen auf Spitzenjob schwinden auch wegen Macron
Für die Kanzlerin, die immer noch auch CDU-Vorsitzende ist, wäre es auf den ersten Blick reizvoll, an der Spitze der Europäischen Kommission einen Christsozialen zu installieren. Auf einen Schlag wäre der CSU ein wichtiges Kampffeld entwunden: Bayern gegen die Zentralisten in Brüssel. Das spricht für den Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber. Ihm hat Merkel ihr „Go“ gegeben - aber seinen wichtigsten Wunsch hat sie dem konzilianten Christsozialen nicht erfüllt. Sie stützt ihn zwar bei seiner Bewerbung um die konservative Spitzenkandidatur, nicht aber bei seinem Wunsch, dann auch Kommissionspräsident zu werden. Und weil Frankreichs Macron so denkt wie Deutschlands Merkel, werden die Chancen von Weber auf den Spitzenjob nicht eben größer.
Was Macron und Merkel, diese unterschiedlichen Polit-Typen eint, ist, der Vorrang der nationalen Chefs vor dem Europäischen Parlament. Beide halten nichts davon, dass der Spitzenkandidat bei der Europawahl automatisch Chef der Kommission wird. Über den soll nach ihrem Willen jemand anders befinden: sie selbst. Die „Süddeutsche Zeitung“ spekuliert mit einigem Recht deshalb heute schon, dass Merkel Manfred Weber nach dessen wahrscheinlich erfolgreicher Wahl ganz einfach fallen lässt. Um einen neuen Deal um ganz andere Figuren auszuhandeln. Mit der eloquenten, durchsetzungsfähigen, liberalen Dänin Marie Vestager etwa, der Geheimfavoritin Macrons.
Am Ende kann das alles dazu führen, dass Deutschland leer ausgeht - weder den nächsten Chef der Europäischen Zentralbank stellt, noch den Chef der Europäischen Kommission. Aber, wer weiß - womöglich ist es ja das, was Merkel will. Sie hat genau registriert, dass die Mehrheit der Europäer in der deutschen Art von Geldpolitik - Strenge und Reformen gegen Schulden-Schlendrian, ebenso wie in der Flüchtlingspolitik, jene Übel sehen, die sie mit aller Macht bekämpfen wollen. Wenn die Europäer keinen Deutschen an einer Schlüsselposition sehen wollen, und Merkel aus Rücksicht auf die anderen dem nachgibt, dann ist die Einigkeit groß. Und für Deutschland bliebe: Der leere Stuhl.
No comments:
Post a Comment