Fünf Monate sind vergangen seit Andrés Manuel López Obrador, genannt Amlo, zum neuen mexikanischen Präsidenten gewählt wurde. Nun übernimmt der Linksnationalist ein Land, in dem es an allen Ecken und Enden brennt: Die Gewaltkriminalität hat einen Höchststand erreicht, das Vertrauen der Mexikaner in Politik und Institutionen ist auf einem Tiefststand, der Rechtsstaat liegt im Koma. Zudem sind die Wirtschaftsaussichten ungewiss nach der Neuverhandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (TMEC) mit verschlechterten Konditionen für Mexiko.
Die Unterschicht will nun von den Früchten des Fortschritts profitieren und erhofft sich einen sozialen Aufstieg, die Mittelschicht will Transparenz und Rechtsstaatlichkeit, die Oberschicht Stabilität und keine Steuererhöhungen, und alle verlangen mehr Sicherheit.
"All diese Erwartungen an die Realität anzupassen ist seine größte Herausforderung", sagt Ricardo Alvarado von der Organisation "Mexikaner gegen Korruption und Straffreiheit". Amlos 25-Punkte-Programm mutet wie ein Wunschzettel an: Ohne Neuverschuldung plant er den Bau einer Raffinerie, zweier Eisenbahnen, 100 neuer Universitäten, eines neuen Flughafens, die Verdoppelung der staatlichen Mindestrente, Ernährungssouveränität, Wiederaufforstung, Stipendien für Studenten und ein flächendeckendes kostenloses Gesundheitssystem.
Unternehmer vergrault
"Wenn man alles zusammenrechnet, platzt der Haushalt aus den Nähten", sagt der Politologe Rubén Aguilar. Was wirklich Priorität hat, wird sich nach Auffassung von Aguilar jetzt in den Haushaltsnachverhandlungen im mexikanischen Kongress zeigen. Vieles wird kaum ohne die Mitarbeit der mexikanischen Unternehmer zu erreichen sein. Doch die hat Lopez Obrador Ende Oktober vergrault, als er ankündigte, ein milliardenschweres Projekt nach Amtsantritt sofort zu stoppen: den Bau des bereits zu einem Drittel fertiggestellten neuen Hauptstadtflughafens. Stattdessen will er eine bereits vorhandene Luftwaffenbasis zum internationalen Airport ummodeln lassen.
Offenbar ermutigt von diesem Versprechen ihres künftigen Präsidenten wagten kurz darauf Abgeordnete seiner Koalition eigene Vorstöße. Viele dieser Parlamentarier stehen deutlich weiter links als von Amlo und sie forderten nun die Pensionsfonds zu verstaatlichen und die Bankgebühren zu verbieten. Das brachte den Peso und die Börse auf Talfahrt. Offenbar hofft Amlo, China könne notfalls als Investor in die Bresche springen - doch das könnte wiederum den wichtigsten Handelspartner USA gegen Mexiko aufbringen. US-Präsident Donald Trump führt einen Handelskrieg gegen den asiatischen Riesen und ist bemüht, den Einfluss Chinas im lateinamerikanischen Hinterhof einzudämmen.
Für den Journalisten José-Gil Olmos müsste aber nicht die Wirtschaft, sondern die Bekämpfung des von der Drogenmafia unterwanderten Staates Vorrang haben: "Nichts bringen die ganzen Eisenbahn- und Flugplatzprojekte und Sozialprogramme, wenn man dieses Krebsgeschwür nicht angeht, das die Gesellschaft und den Staat zersetzt hat", schreibt Olmos in der kritischen Wochenzeitung "Proceso”.
Gerade dabei setzt der neue Staatschef entgegen seiner Wahlkampfversprechen aber auf Altbekanntes: das Militär. Er will eine Nationalgarde schaffen, kommandiert von den Streitkräften und direkt ihm unterstellt. Denn seiner Meinung nach ist die Gewaltspirale auf moralischen Verfall und Führungsschwäche zurückzuführen, was der Korruption von Polizei und Lokalpolitikern durch die Mafia die Tür geöffnet habe. Ob die für die Nationalgarde nötigen Verfassungsänderungen im Kongress die entsprechende Mehrheit finden und vom Obersten Gericht abgesegnet werden, ist offen. Einen "Plan B" in der Sicherheitspolitik gibt es bisher aber nicht.
Volksabstimmungen als Mittel, die Macht zu stärken
Der Vorschlag hat zudem für harsche Kritik gesorgt. Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen schon ihr zweites Anliegen - die Entmilitarisierung des Drogenkriegs - scheitern, nachdem Amlo bereits einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft eine Absage erteilte. "Damit wird es wie gehabt einen vom Präsidenten kontrollierten Chefermittler geben, und der Präsident wird entscheiden, in welche Richtung und wie weit in Korruptionsfällen ermittelt wird", sagt Politologe Aguilar.
Dass die unter Korruptionsverdacht stehenden Expräsidenten straffrei ausgehen werden, weil er keine "Hexenjagd" veranstalten wolle, hat Lopez Obrador schon öfter betont. Zuletzt schlug er angesichts der öffentlichen Empörung vor, die Bevölkerung über eine solche Strafverfolgung abstimmen zu lassen - was nach Ansicht von Korruptionsbekämpfer Alvarados völlig jenseits rechtsstaatlicher Prinzipien ist. "Das ist Demagogie. Die Justiz ist nichts, worüber man abstimmt.
Doch Volksabstimmungen haben ihren Sinn in der Logik Amlos, wie die Politologin Daniela Stevens von der American University im "Aula Blog" schreibt: "Sie scheinen dazu zu dienen, Amlos Absichten zu legitimieren und seine Macht zu stärken. Er und seine Partei hegen offenbar Pläne, die Gegengewichte zu untergraben, die den Präsidenten kontrollieren." Ricardo Alvarado sieht es ähnlich. "Amlo ist sehr misstrauisch und setzt auf die Re-Zentralisierung der Macht. Doch die Konzentration in wenigen Händen ist intransparent und erhöht das Korruptionsrisiko."
Ein Zeichen dafür sind - Rubén Aguilar zufolge - die vom Präsidenten neu ernannten "Delegierten" in jedem Bundesstaat, die unter anderem die Sozialprogramme kontrollieren sollen und damit als eine Art Parallelmacht zu den gewählten Gouverneuren agieren. Mit Besorgnis sieht der Politikwissenschaftler auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, die manche Funktionäre mit der Rhetorik "Entweder bist du für mich oder gegen mich” noch anheizten. "Ein zwischen zwei Polen derart aufgeriebenes Land kommt nicht voran." Amlos erste große Aufgabe werde sein, diese Logik zu durchbrechen. "Sonst erwarten uns schwere Zeiten."
*Der Beitrag "Andrés Manuel López Obrador: Ein neuer Präsident und ein Haufen alter Probleme" stammt von Deutsche Welle. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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