Für die amtierende Bundeskanzlerin und Noch-CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat der Herbst des Missvergnügens begonnen. Das Wagnis, von dem sie am Montag sprach, dürfte für sie als Abenteuer mit finalem Ausgang enden.
Keine 48 Stunden nach dem Teilrückzug von der Macht bespielte Politik-Rückkehrer Friedrich Merz gestern die große Berliner Bühne. Der Respekt, den er ihr zollte, galt der Tatsache, dass sie freiwillig ihren Schreibtisch im Konrad-Adenauer-Haus räumen will. Respekt ist in diesem Fall nur ein anderes Wort für Requiem.
Zur Person
Gabor Steingart, 56, ist Journalist und Buchautor. Sein kostenloses Morning Briefing erhalten Sie hier: www.gaborsteingart.com
Man musste kein staatlich diplomierter Zwischen-den-Zeilen-Leser sein, um Friedrich Merz zu dechiffrieren. Er will Erneuerung, nicht friedliche Koexistenz. Er setzt auf Prinzipien und die langen Linien der Politik, derweil sie sich 13 Jahre lang, um mit Friedrich Nietzsche zu sprechen, als „Legionär des Augenblicks“ verdingte.
Abkehr vom glatten Merkel-Design
Mühelos konnte man die Aussagen des mutmaßlichen Nachfolgers als Anklagen gegen die Vorgängerin verstehen. Merz kritisierte das Floskelhafte der Politik. Also ihre Sprache. Er sieht den Markenkern der CDU in Gefahr. Wer wohl hat ihn geschrumpft? Er forderte Politik mit Profil. Also eine Abkehr vom glatten Merkel-Design, das jahrelang im Windkanal des Zeitgeistes geformt wurde.
Er will Klarheit, wo sie oft nur murmelte. Er besteht auf Leistung und Anstrengung, auch gedanklich. Sie glaubte zu lange, dass es einen Mindestlohn für politischen Opportunismus gibt.
Merkels ärgster Gegner ist das Verzauderte ihres Wesens
Das Tragische ist: Ihre Analysen zu den großen Themen wie Staatsverschuldung, Sozialstaatsexpansion und Digitalisierungsdefizite sind so messerscharf wie seine. Doch der Unterschied beginnt sofort danach: Er nutzt Wissen, um Wirklichkeit zu verändern. Sie, um Wirklichkeit zu kontrollieren. Er will gestalten. Sie will dran bleiben. Er will Bewegung, ihr Schlüsselwort ist Balance. Er glaubt an sich, derweil sie vielen Menschen misstraut, oft sogar sich selbst.
Angst und Ambition heißen die beiden feindlichen Seelen, die ihre Brust seit jeher bewohnen. Merkels ärgster Gegner war nie der Andere, sondern das Verzauderte ihres Wesens.
Ein Quälgeist kommt selten allein
Ein Quälgeist kommt selten allein und so macht auch Gesundheitsminister Jens Spahn der Kanzlerin das Leben zur Hölle. Seine zunächst noch undeutliche Kritik an ihrer Politik der offenen Tür übersetzte er gestern ins Plakative. Die chaotischen Verhältnisse an den Grenzen bestünden fort und führten zu einer „ungeordneten, überwiegend männlichen Zuwanderung in einer jährlichen Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock“.
Merkels fromme Bitte, so Spahn in der „FAZ“, über den September 2015 einfach nicht mehr zu sprechen, laufe ins Leere. Ihre Migrationspolitik entwickele sich zur Agenda 2010 der CDU.
Sprachverbote von gestern sind die Brandsätze der Gegenwart
Spahn ist der politische Scharfschütze, der ins Herz der Kanzlerautorität zielt. Und die Munition, das muss Merkel sich vorhalten lassen, hat sie ihm frei Haus geliefert. Ihre Sprachverbote von gestern sind die Brandsätze der Gegenwart. Schon regt sich jenes Gefühl, das eine Regierungschefin am wenigsten gebrauchen kann: Mitleid.
Spahn und Merz, darauf setzt nun das Merkel-Lager, könnten sich gegenseitig die Delegierten des CDU-Parteitages abjagen. Die Stimmen der neuen Heimatvertriebenen, also jener Parteimitglieder für die Merkels CDU ein zugiger Ort geworden ist, werden sich womöglich zweiteilen, wovon wiederum Merkels Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer profitieren könnte. Die Königin der Funktionäre wäre zugleich Merkels Leibgardistin.
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