Sollte die DNA-Probe den Wolfsangriff auf einen Gärtner in Steinfeld bei Bremen bestätigen, könnte die Schonzeit für das Raubtier, das seit zehn Jahren wieder durch Deutschlands Wälder streift, vorbei sein. Es mehren sich Berichte, dass ganze Wolfsrudel junge Reiterinnen verfolgen. In dem kleinen Ort Steinfeld wachsen indes Angst und Wut von Bürgern und Landwirten. Sie fühlen sich von der Politik verraten.
Die Vorgeschichte für den möglicherweise ersten Angriff eines Wolfs auf einen Menschen nach der Rückkehr des Raubtieres in unsere Wälder klingt wie ein Witz. Denn der Anlass, weswegen der 55-jährige W. überhaupt gebissen wurde, waren Karnickel und Hasen. Der Aushilfsarbeiter der 300-Seelen-Gemeinde Steinfeld 30 Kilometer nordöstlich von Bremen war am Mittwoch mit dem Flicken des Maschendrahtzauns am Friedhofs beschäftigt. Er sollte im Auftrag der Gemeinde eine undichte Stelle schließen, unter der die Tiere durchschlüpften, um Blumen von den Gräbern zu essen. „Als er dann während der Arbeit mit der Hand nach hinten griff, um Werkzeug zu nehmen, hat ihn offenbar ein Wolf in die Hand gebissen“, erzählt Bernd Mindermann, Landwirt und Ratsmitglied von Steinfeld.
Angebliches Opfer kennt sich mit Tieren aus
So wie es aussieht, hat W. noch einmal Glück gehabt. Er soll nur leicht verletzt worden sein, was er womöglich auch seiner Unerschrockenheit zu verdanken hat. Der 55-Jährige wird von der Gemeinde abgeschirmt vor den Medien, W. selbst wolle mit niemandem sprechen, sagt Mindermann, der das Opfer kennt. „W. ist in der Landwirtschaft aufgewachsen, kennt sich mit Tieren aus. Ein Landwirt lässt sich nicht von einem Wolf beeindrucken. Der nimmt einen Stock, macht sich groß und brüllt den Wolf an, Punkt. Dann trollt der sich schon.“ W. soll den Wolf mit einem Hammer in die Flucht geschlagen haben.
Als er attackiert wurde, hat W. offenbar noch drei weitere Wölfe gesehen, sagt Mindermann und zeigt auf die Stelle im Wald, der direkt an den Friedhof grenzt. „Da sind 15 Quadratkilometer Moorland, ideal als Lebensraum für die Wölfe“.
Das einzige, was Mindermann bislang an der Geschichte von dem Wolf zweifeln lässt, ist die Farbe eines der drei anderen Tiere. „Zwei waren grau, ein dritter offenbar schwarz. Es gibt aber keine schwarzen Wölfe.“ Vielleicht waren es doch Hunde? Bevor man „voreilige Schlüsse zieht“, solle man daher nun erst einmal das Ergebnis der DNA-Probe abgewartet werden, die das Tier mit seinem Speichel an der Hand von W. hinterlassen hat, sagt Mindermann.
Sorge um Sicherheit
Doch der 58-Jährige hat einen klaren Standpunkt zum Thema Wolf – und ist in Steinfeld einer der wenigen, die überhaupt noch über das Thema reden. Nicht von ungefähr ist er Ortsvertrauensmann der Landwirte von Steinfeld.
Der „emotionalste Aspekt“ sei natürlich die Sicherheit der Menschen. Vor allem, was kleine Kinder betrifft. „Meine Kinder sind zum Glück inzwischen groß. Wenn sie noch klein wären, würde ich mir jetzt sicher auch Sorgen machen“, sagt Mindermann, der 300 Rinder hat und mit 200 Hektar Land einer von drei verbliebenen Vollerwerbsbauern in Steinfeld ist. „Es ist kein Zufall, dass der Mensch den Wolf zum Hund domestiziert hat. Beide suchen die Nähe zueinander.“ Der Mensch zähle nicht zum Beuteschema des Wolfs. „Doch ich hätte Bedenken, Kinder allein auf dem Hof zu lassen. Es ist hier in der Gegend schon oft passiert: Plötzlich stand da einfach ein Wolf auf dem Gehöft.“
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Nicht die einzigen Vorfälle, sagt Mindermann. „Ich habe inzwischen mehrere Berichte von Wölfen gehört, die Reiter im Wald oder auf dem Feld verfolgt haben. Und auf den Pferden sitzen oft keine erfahrenen Landwirte, sondern junge Mädchen, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen“, erzählt Mindermann. Einmal soll sogar ein ganzes Rudel eine Reiterin verfolgt haben. Er selbst habe im vorigen Jahr einen Wolf auf einer seiner Weiden gesehen, als er mit dem Traktor Dünger ausgefahren habe. „Er hat mich 20 Sekunden lang angestarrt und ich ihn, und dann ist er weitergetrottet.“
Ärger über Politik
Das, was die Bauern dabei am meisten ärgert, ist die Reaktion der Politiker. „Sie nehmen die Ängste der Bevölkerung nicht wahr und wundern sich dann, dass die Menschen immer öfter radikale Parteien wählen.“ Die Ankündigung von Niedersachsens Landwirtschaftminister Olaf Lies (SPD), den Steinfelder Wolf dem Wildbestand zu „entnehmen“, wie der Abschuss politisch korrekt heißt, habe bei den Bauern „schallendes Gelächter“ ausgelöst. „Wie will er das denn machen?“, fragt Mindermann.
Um rauszubekommen, welches Tier genau W. angegriffen hat, müsste der Minister alle Tiere töten lassen, und das werde er niemals machen. „Typisch SPD: Sie kündigen etwas an, um niemandem weh zu tun, aber machen am Ende nichts“, ärgert sich Mindermann. Sie wollten es sich mit den Tier- und Naturschützern „nicht verscherzen“, sagt der Landwirt: „Die Politik vertuscht die Probleme mit dem Wolf“.
Wut über Regelungen
Das zweite große Problem bei der Rückkehr der Wölfe betreffe vor allem die Landwirte. Keiner der Bauern wolle mehr über die Tiere sprechen, da sie von der Politik nicht ernstgenommen würden, schimpft der Steinfelder. Immer öfter würden Wölfe Vieh auf den Weiden reißen. Doch viele Landwirte trauten sich nicht mehr, die Behörden zu verständigen. Denn: Eine Meldung habe zur Folge, dass Polizei, Veterinärsamt und andere Behörden eine "Bürokratiewelle" losträten, unter der "Bauern erstickten", sagt Mindermann.
Es gäbe zwar Entschädigungen, aber nur für Landwirte, die Wolfszäune errichtet hätten. Die wiederum kosteten den Steuerzahler „ein Heidengeld“, obwohl sie „nutzlos“ seien, weil die Wölfe drüberspringen. Mindermann ärgert sich über die "völlig irrsinnige Regelungswut“. „Die Politik macht die Landwirschaft systematisch kaputt. Wir werden alleingelassen mit unseren Sorgen."
Bauer befürwortet Abschuss
Er selbst habe bislang noch keine Probleme mit den Wölfen gehabt. Aber inzwischen denkt auch er über Sicherungsmaßnahmen nach. „Ich lasse die Muttertiere ein halbes Jahr im Freien kalben. Die Kälber sind ein gefundenes Fressen für die Wölfe, es ist für sie ja auch viel leichter, diese Tiere zu reißen.“
Für ihn sei klar, dass es „nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es zum ersten richtig schlimmen Angriff auf einen Menschen kommt". Die Schäden entstünden nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch beim Deichschutz, wo Schafe gezielt zur Verfestigung der Böden zum Weiden hingetrieben würden. Und auch der Tourismus hänge von den Schafen ab. „Ich bin mir sicher, dass es in zehn Jahren ganz normal sein wird, dass Wölfe abgeschossen werden. Anders wird es nicht gehen“, ist sich der Steinfelder Gemeinderat sicher.
Kein Kommentar des Bürgermeisters
Die Verwaltungsebene reagiert nach dem Zwischenfall in Steinfeld jedenfalls hochgradig nervös. „Das Thema Wolf ist bei uns seit langem präsent“, sagt Jochen Albinger, Bürgermeister von Bülstedt. Die zuständigen Landesbehörden seien derzeit mit der genauen Untersuchung des Angriffs beschäftigt. Bevor die DNA-Probe nicht endgültige Gewissheit bringe, das es sich wirklich um einen Wolf gehandelt hat, der den 55-järhigen W. angegriffen hat, zieht es Albinger vor, den Vorfall nicht zu kommentieren.
Sollte sich der Wolfsverdacht bestätigen, könnte dies eine Debatte auslösen, die sich auch mit gezielten Abschüssen von Wolfen beschäftigt. Doch auch das will Albinger nicht kommentieren. „Die Regeln, wie dann reagiert werden soll, um die Sicherheit zu gewährleisten, legen nicht die Kommunen fest, sondern die Landespolitiker.“
Im Video: Gab es eine Attacke auf einen Menschen? Experte bezweifelt Wolfsangriff
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