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Friday, March 1, 2019

Analyse unseres Partnerportals „Economist“ - Gegen Juden und Eliten: Warum die Gelbwesten-Proteste immer mehr in Hass ausarten

Analyse unseres Partnerportals „Economist“: Gegen Juden und Eliten: Warum die Gelbwesten-Proteste immer mehr in Hass ausarten

Die neue Welle der öffentlichen Hasstiraden geht bis auf die 1930er Jahre zurück.

In seinem Heimatort in der ländlichen Bretagne war Hervé Berville häufig das einzige Kind mit schwarzer Hautfarbe. Er selbst sagt, damals jedoch kaum mit Alltagsrassismus konfrontiert gewesen zu sein. Der schlaksige Ökonom wurde im Jahre 1994 als Kind während des Völkermords in Ruanda von einem französischen Ehepaar adoptiert. 2017 wurde er als Abgeordneter der Partei von Präsident Emmanuel Macron in die französische Nationalversammlung gewählt.

Als Berville im letzten Jahr eine computergetippte Todesdrohung in sein Parlamentsbüro geschickt bekam, warf er diese zunächst direkt in den Mülleimer. Als dann aber vor einem Monat ein zweiter solchen Brief in seiner Post lag, dessen anonymer Verfasser zudem noch bedauerte, dass Berville „den Macheten entkommen“ sei, entschloss der Abgeordnete sich zu einer öffentlichen Stellungnahme. „Der Brief war so gewaltvoll,“ erklärt Berville, und merkt an, dass die Atmosphäre im Land sich stark gewandelt habe. „Die Grenze zwischen Drohgebärde und tatsächlicher Bedrohung verschwimmt jeden Tag ein bisschen mehr.“

Klima des Hasses

Über Frankreich braut sich ein Klima des Hasses zusammen. Die Ziele dieser neuen Wut scheinen wahllos, kaum miteinander verbunden und höchst wandelbar: Jüdische Menschen, Journalisten, Reiche, Polizisten, Parlamentsabgeordnete, der Präsident. Tatsächliche Gewalt wird meistens nur angedroht, wie im Falle von Berville; zwei seiner (dunkelhäutigen) Kollegen im Parlament erhielten dieselben Drohschreiben wie er.

In anderen Momenten wurde jedoch konkrete Gewalt ausgeübt, sowohl gegen Symbole (ein Ministerium, Luxuskarossen etc.) als auch gegen echte Menschen, häufig in Verbindung mit den Protesten der "Gilets jaunes", der Gelbwesten. Die drei Monate alte Bewegung ist zuletzt zwar stark geschrumpft, der verbleibende Kern radikalisierte sich jedoch gleichzeitig stark. Seit Beginn der Gelbwesten-Proteste wurden mehr als 1700 Zivilisten und 1000 Polizisten verletzt.

Hass in der Öffentlichkeit

Als die Bewegung der Gelbwesten sich im vergangenen November zum ersten Mal formierte, tat sie dies zunächst aus Protest gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse und gegen neue Steuerauflagen. Doch die Infiltrierung der Protestmärsche durch ultralinke Kräfte und rechtsextreme Agitatoren, genauso wie auch die Entschlossenheit des radikalen Kerns der Bewegung, den Abtritt des Präsidenten Macron um jeden Preis zu erzwingen, hat die Ränder der Bewegung zunehmend verhärten lassen.

Jede Woche flackern neue Aufnahmen von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der französischen Bereitschaftspolizei über die Fernsehbildschirme des Landes. Durch die Straßen von Paris und anderen Städten wabern dicke Tränengaswolken. Diese nicht enden wollende Dynamik der Proteste und Gegenmaßnahmen scheint nun zur Entstehung einer neuen Form des gewalttätigen Hasses beigetragen zu haben. Was an inkohärentem Geschwafel einst nur in den sozialen Medien einen Ausdruck fand, findet nun allmählich auch seinen Eingang in die Öffentlichkeit.

100 Abgeordnete von Drohungen und Angriffen betroffen

Anfang dieses Monats wurde in der Bretagne das Haus des Sprechers der Nationalversammlung, Richard Ferrand, in Brand gesteckt. Erst letzte Woche wurde in Le Mans das Wahlkreisbüro des Abgeordneten Damien Pichereau, eines weiteren Mitgliedes der Macron-Partei La République en Marche (LREM), zerstört.

Berville sagt, 100 Abgeordnete seiner Partei hätten inzwischen entweder Drohgebärden erhalten, oder seien gar tatsächlichen Angriffen zum Opfer gefallen. Aurore Bergé (ebenfalls LREM) erhielt besonders unverblümte, sexistische Drohbriefe. Im Laufe eines Gelbwesten-Protestes enthaupteten Protestierende eine Puppe in Form von Macron. Christophe Chalençon, einer der Hauptorganisatoren der Gelbwesten, warnte kürzlich davor, dass Macron „unter die Guillotine kommen” würde, sollte man ihm, Chalençon, „eine Kugel in den Kopf jagen”.  

Immer mehr antisemitische Übergriffe

Zum Gebräu des neuen Hasses mischt sich auch eine große Dosis Antisemitismus hinzu. Nachdem die Zahl antisemitischer Übergriffe in den letzten zwei Jahren in Frankreich noch gesunken war, stieg sie 2018 erneut um mehr als 74 Prozent an. Am 19. Februar wurden auf einem jüdischen Friedhof in Ostfrankreich achtzig Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert.

Innenminister Christophe Castaner sagt, der Antisemitismus verbreite sich in der Gesellschaft „wie ein Gift”. Vor wenigen Tagen hinterließ ein Unbekannter auf einer Bagel-Bäckerei in Paris den deutschsprachigen Schriftzug „Juden“, ein Street-Art-Kunstwerk mit dem Bildnis der ehemaligen Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil wurde mit Hakenkreuzen übersprüht und eine Garageneinfahrt in der Hauptstadt wurde mit den Worten „Macrons Judenschlampe“ verunstaltet.

Angebliche Verbindungen zu den Gelbwesten lassen sich nicht beweisen. Doch erst letzte Woche erschien ein Videoband, auf dem zu sehen ist, wie mehrere marschierende Gelbwesten dem in Polen geborenen Philosophen Alain Finkielkraut die Worte „du dreckiger Scheißzionist“ und „geh zurück nach Tel Aviv“ entgegenschrien, als dieser eine Straße in der Nähe seines Hauses am linken Flussufer der Seine entlanglief.

Besonders hasserfüllte Proteste

Todesdrohungen und Einschüchterungen gab es in der Politik schon immer. Und auch der Antisemitismus ist in Frankreich gesellschaftlich tief verwurzelt. Er reicht dort bis weit hinter die Vichy-Periode auf die Veröffentlichung von Edouard Drumonts Buch „La France Juive“, einer populären antisemitischen Polemik aus dem Jahre 1886, zurück. Ebenfalls erlebt Frankreich in regelmäßigen Abständen periodische Gewaltausbrüche, so beispielsweise die Proteste vom Mai 1968 oder die Aufstände in den Pariser Vorstädten des Jahres 2005. „Das Besondere an der gegenwärtigen Situation ist nicht die Gewalt an sich, sondern der mit ihr einhergehende Hass,“ schrieb der Journalist Alain Duhamel in der Zeitung "Libération".

In der bisherigen Geschichte der fünften Republik gebe es keinen Präzedenzfall für die momentanen Ausmaße des Hasses, so Jean Garrigues, Historiker an der Universität von Orléans. Die heutige, giftige Mischung aus Antisemitismus und Antiparlamentarismus vergleicht er mit der Situation zu Beginn der 1930er Jahre. Wenn es zwischen diesen beiden Strängen eine Verbindung gäbe, dann liege diese wohl am ehesten darin, dass die Ziele der neuen Proteste – zu Recht oder zu Unrecht – zur Elite gezählt werden, oder eher noch zu einer illegitimen und unwürdigen Elite, die das einfache Volk bewusst hintergeht und betrügt.

Und diejenigen, die sich in dieser Zeit der zerbröckelnden ideologischen Bande am stärksten darum bemühen, dass die gesellschaftliche Kluft noch weiter auseinanderdriftet, sind eindeutig die Populisten des Landes.

Extreme in der Opposition

Seitdem Macron den Parteien des politischen Mainstreams bei der Präsidentschaftswahl des Jahres 2017 den Garaus machte, hat sich die politische Opposition Frankreichs in die Extreme verlagert. In einem offenen Brief an den Präsidenten erklärte François Ruffin, ein Abgeordneter der linksextremen Partei La France insoumise (LFi), vor mehr als einem Jahr: „Man hasst Sie, man hasst Sie aufs Äußerste.“

Die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen warf „Agitatoren, Revolutionären und Anarchisten“ innerhalb der politischen Linken vor, hinter den Gewaltexzessen der Gelbwesten-Proteste zu stehen. Doch genauso häufig bespielt Le Pen heute selbst die Leier der Kritik an den angeblich eigennützigen Eliten. Ihr neuer Wahlkampfslogan lautet schlicht: „Das Volk an die Macht!“

Protest gegen Antisemitismus

Gegen die momentane Stimmung regt sich jedoch auch Protest aus der Zivilbevölkerung. Ein Marsch gegen den Antisemitismus brachte am 19. Februar eine parteiübergreifende Koalition an Politikern auf die Straßen von Paris, begleitet von über 20.000 Protestierenden. Sogar Le Pen legte einen Blumenstrauß an einem Denkmal ab, um den Opfern des Antisemitismus zu gedenken. Sie versucht seit längerem, ihre Partei von ihrer antisemitischen Vergangenheit zu distanzieren, obwohl auch sie die Flammen der Identitätspolitik häufiger selbst mit anzufachen half.

Vor einem Besuch auf dem geschändeten jüdischen Friedhof in Ostfrankreich beschrieb Macron den Antisemitismus zu Beginn dieser Woche als „Antithese all dessen, was Frankreich ausmacht.“ Er hoffe darauf, dass seine „große nationale Debatte,“ eine landesweite Serie an Beratungen und öffentlichen Gemeindeversammlungen, dabei helfen kann, die Stimmen des Hasses zu unterdrücken und auszugleichen.

Doch Frankreich steckt mitten in den Vorbereitungen für die in Mai anstehenden Europawahlen. In Umfragen führen die Parteien von Macron und Le Pen. Der harsche Ton wird sich deshalb auch in der kommenden Zeit wohl kaum wirklich mäßigen lassen. 

Dieser Artikel erschien zuerst beim "Economist" und wurde von Lukas Wahden aus dem Englischen übersetzt.

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*Der Beitrag "Gegen Juden und Eliten: Warum die Gelbwesten-Proteste immer mehr in Hass ausarten" stammt von The Economist. Es gibt keine redaktionelle Prüfung durch FOCUS Online. Kontakt zum Verantwortlichen hier.

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