Norbert Römer hat schon bessere Ergebnisse in seiner langen Polit-Karriere geholt. Seine Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden der SPD im nordrhein-westfälischen Landtag vergangenen Dienstag erinnerte an einen Arbeitssieg.
Nur 45 der 67 Abgeordneten kürten den 70-jährigen Anhänger des Pokalsiegers Borussia Dortmund zum wichtigsten Oppositionsführer an Rhein und Ruhr. Zugleich gab er bekannt, dass er den Posten nur noch für ein Jahr ausüben wolle, um den Übergang auf die Oppositionsbank zu moderieren.
„Die denken nur an sich“
Salbungsvolle Worte, die allerdings darüber hinwegtäuschen, dass unter den NRW-Genossen ein erbitterter Machtkampf um die Fraktionsspitze schwelt. Zugleich offenbart die Interimslösung, dass die SPD in ihrer Herzkammer an Rhein und Ruhr einen missglückten Neustart hingelegt hat. „Viele Kollegen haben noch gar nicht begriffen, dass wir uns nun in der Oppositionsrolle befinden“, moniert ein SPD-Parlamentarier im Gespräch mit FOCUS Online, „die lecken immer noch ihre eigenen Wunden und denken nur an sich.“
Jeder sei damit beschäftigt, anderen die Schuld für die Niederlage im Wahlkampf zu geben „anstatt sich einmal an seine eigene Nase zu packen“. Diejenigen, die nun alle auf Noch-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft draufhauen würden, hätte man früher nie mit Kritik an dem Regierungskurs wahrgenommen, schimpft eine SPD-Abgeordnete.
Nerven liegen blank
Die Nerven liegen derzeit blank bei den Sozialdemokraten in NRW. Völlig unklar ist, wie man künftig das schwarz-gelbe Kabinett stellen will. „Zur Zeit herrscht regelrechte Agonie“, heißt es in Parteikreisen. Stattdessen droht ein großer Streit um Personalien und Ämter. Verärgert registrieren führende SPD-Politiker, dass einige Minister, die für die Wahlniederlage mitschuldig gemacht werden, „nun versuchen, Fraktionsposten zu ergattern.“
Die interne Kritik richtet sich vor allem gegen die Noch-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze und ihren Kabinettskollegen Thomas Kutschaty. Gerade an Letzterem scheiden sich die Geister in der Fraktion. In den Augen Vieler gilt er als unfairer Rebell gegen die alte SPD-Garde.
Erfolgloser Putschversuch
Ohne mit Fraktionschef Römer zu sprechen, warf der Essener Parteichef und Justizminister nach FOCUS Online-Informationen seinen Hut für den Spitzenposten in den Ring. Wer so einen „Putsch“ plane, der müsse auch genügend Truppen beim Wahlgang hinter sich bringen, spöttelt ein SPD-Politiker, „das aber hat er nicht geschafft.“
Die Taktik des sonst so umsichtigen Strategen sei nicht aufgegangen. Vor allem die Genossen aus den Bezirken Ostwestfalen-Lippe, westliches Westfalen nebst Teilen vom Niederrhein und vor allem aus dem mächtigen Verband Mittelrhein hatten dem Essener Prätendenten die Gefolgschaft verweigert. Kutschaty zog notgedrungen zurück und überließ Fraktionsmatador Römer das Feld.
Allerdings mit der Hoffnung, dass in einem Jahr die Karten neu gemischt werden. Und nach dem angekündigten Abgang Römers sein Nachfolger Thomas Kutschaty heißen würde. Ein Kalkül, das auch nach hinten los gehen könnte. Längst spinnen SPD-Granden in Düsseldorf andere mögliche Szenarien. Dabei fallen auch weitere Namen im Nachfolgewettbewerb für Römer.
Kronprinz in Wartestellung
Da ist zum Beispiel dessen Ziehsohn Marc Herter. Seit Jahren verbindet Römer mit dem frisch gewählten parlamentarischen Geschäftsführer eine innige Beziehung. Schon als Herter noch Chef der NRW-Jusos war, förderte Römer das politische Talent. Herter gilt als eloquent, intelligent und als brillanter Rhetoriker. Seine Gaben, so heißt es, lassen ihn mitunter als ein wenig arrogant erscheinen. Ein Makel, der ihm in der Fraktion nicht immer zum Vorteil gereicht.
Sein Mentor Römer indes hält große Stücke auf ihn. Somit bleibt die Frage, ob der SPD-Fraktionschef das letzte Jahr nutzt, um seinen Kronprinz auch den Abgeordneten in der Fraktion als Nachfolger schmackhaft zu machen.
Kluger Rückzug
Zu guter Letzt macht derzeit ein dritter Favorit für den Fraktionsvorsitz die Runde: Der Chef der Kölner SPD-Ratsfraktion und Landtagsabgeordnete Martin Börschel. Unter Hannelore Kraft schaffte es der Haushaltspolitiker wegen seiner offenen Kritik am mangelnden Sparsinn der Landesregierung nie in die erste Reihe. Obwohl er das Aushängeschild des mächtigen rheinischen SPD-Verbandes Mittelrhein ist, musste sich der 44-jährige Anwalt in der Kraft-Ära mit einer eher bescheideneren parlamentarischen Rolle begnügen.
Börschel ist ein exzellenter Analytiker, ein fleißiger Arbeiter mit einer punktgenauen Wortwahl. Der Jurist gehört eher dem rechten Flügel der NRW-Genossen an. Börschel gilt auch als gewiefter Taktiker, der auf seine Chance warten kann.
Früh schon spürte er, dass die SPD die Wahl zum Kölner Oberbürgermeister im Oktober 2015 vermutlich gegen die parteilose Konkurentin Hannelore Reker verlieren könnte. Clever überließ er seinem Kölner Parteifreund, dem damaligen Landtagsfraktionsvize Jochen Ott, den Vortritt. Der scheiterte krachend und verlor nun auch bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand im Landtag seinen Posten als Stellvertreter. Und zwar an seinen Kölner Parteifreund Börschel.
„Etliche Kollegen verharren in Agonie“
Das Machtgeschiebe, die Ränkespiele, die derzeit die SPD im Landtag vollführt, lassen etliche führende Genossen das Schlimmste für die nächsten Monate bis zur Bundestagswahl befürchten. Von einem Hauen und Stechen um den Fraktionsvorsitz ist da die Rede. Manche glauben, dass der wiedergewählte Chef Norbert Römer bereits nach dem Wahltag im September abtreten muss und die Kabalen um den Vorsitz die Partei „in eine Phase der Selbstzerfleischung münden.“
Etliche Abgeordnete spielten schon den Fall 2022 durch. „Sie befassen sich mehr mit den Optionen für nächste Landtagswahl als mit der Realität“, klagt eine hochrangige SPD-Politikerin. Das sorgt für großen Unmut unter den erfahrenen Mitgliedern der Fraktion. Schließlich gelte es doch nun ein schlagkräftiges Team als führende Opposition zu bilden, heißt es. „Doch etliche Kollegen verharren in Agonie.“
Vor diesem Hintergrund spielt die gerade abgewählte SPD-Spitze eine seltsame Rolle. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die demnächst als einfache Abgeordnete die Hinterbank drücken möchte, versichert intern jedem, dass sie in das personelle Geschacher nicht involviert sei. Ralf Jäger, affärengeschädigter Innenminister, tut das einzig Richtige: Er hält sich bedeckt.
Koalitionsverweigerer SPD
Während die SPD-Parlamentarier noch ihre Wunden lecken, kommen sich die Wahlgewinner um CDU-Chef Armin Laschet und dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner immer näher. Seit Mittwoch läuft die zweite Runde der Koalitionsverhandlungen. Für die beiden steht viel auf dem Spiel: Eine andere Lösung als Schwarz-Gelb scheint ausgeschlossen. Sollte der Pakt scheitern, hätte dies ernsthafte Konsequenzen für den Urnengang im Bund im Herbst.
Dass andere Koalitions-Optionen schnell verfielen, lag an der SPD. Im Sauseschritt kürten die Genossen nach dem Rücktritt von Hannelore Kraft ihren Verkehrsminister Michael Groschek zum neuen NRW-Parteichef. Einen Tag nach dem Wahldesaster schloss die Partei zudem Koalitionsgespräche mit der CDU aus.
Sehnsucht nach Erneuerung
Bis heute ist auch vielen Genossen schleierhaft, warum die Parteiführung so schnell eine neuerliche Regierungsbildung als Juniorpartner verweigerte. Wollte man Wahlgewinner Laschet unter Druck setzen? Schließlich verfügt eine Regierung von CDU und FDP nur über eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Zudem hatte der Chef der Liberalen noch in der Wahlnacht den Eindruck vermittelt, als gäbe es gar nicht so viele Schnittpunkte mit der Union.
Belegt ist zumindest, dass die CDU konsterniert reagierte. Gleich nach Bekanntwerden der SPD-Entscheidung rief der Unionsvorsitzende Laschet den SPD-Fraktionschef Römer an. Ob dieser Beschluss endgültig sei oder nur für den Moment gelte, wollte Laschet wissen. Sein Gesprächspartner erklärte ihm, dass dies das letzte Wort sei.
Offiziell begründete die SPD diesen Schritt, dass die Partei nun einen „geordneten Prozess der Erneuerung braucht.“ Angesichts der internen Querelen scheint Skepsis angebracht.
No comments:
Post a Comment