„Schleuser“, „Shuttle-Service“, „NGO-Wahnsinn“: Private Seenotrettungs-Initiativen bewahren jährlich Hunderte Menschen vor dem Tod im Mittelmeer – doch weil es sich bei den Geretteten um Flüchtlinge handelt, nimmt die Kritik an ihnen zu. Was sagen Helfer, die Leben retten und dafür angefeindet werden?
Wer die Insassen eines gekenterten Bootes aus der Nordsee rettet, ist ein Held. Wer dasselbe im Mittelmeer tut, ist womöglich ein Schlepper. Es gehört zu den Besonderheiten von Europa im Jahr 2017, dass es einen Unterschied macht, aus welchem Gewässer man einen Ertrinkenden zieht. Denn seit der Schließung der sogenannten „Balkanroute“ Ende 2015 ist der Weg über das Mittelmeer zur vielversprechendsten Möglichkeit für Flüchtende geworden, nach Europa zu gelangen.
Bereits 1300 Tote dieses Jahr
Gleichzeitig ist der Seeweg aber auch die tödlichste Route: Zwischen Januar und Mai dieses Jahres sind nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks schon über 1300 Menschen ertrunken. Schlepper stopfen kaum seetüchtige Boote in Libyen mit Menschen voll und schicken sie dann auf ihre ungefähr 500 Kilometer lange Reise nach Italien – schwere Unglücke sind da vorprogrammiert.
Bereits vor der Schließung der Balkanroute hat die EU allerdings ihr Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“ aufgegeben und durch zwei europäische Küstenwacheninitiativen ersetzt, von denen eine („Triton“) primär an den Küsten operiert und nicht auf hoher See. Für die Seenotrettung im internationalen Teil des Mittelmeers fühlten sich die EU und ihre Grenzschutzagentur Frontex nicht mehr zuständig.
„Der Wind dreht sich“
Gemeinnützige Organisationen sprangen daraufhin in die Bresche: Vereine wie „Sea-Eye“, „Jugend Rettet“ oder „SOS Mediterranee“ sammelten Spenden, kauften davon ein hochseetüchtiges Boot und retteten seitdem Hunderte Menschenleben im Mittelmeer. Das gefällt aber nicht jedem. Denn indem diese Initiativen Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten, leisten sie Kritikern zufolge Unterstützung bei der illegalen Einreise. Der Tatbestand der Schlepperei sei damit erfüllt.
Von einem „Service-Shuttle nach Italien“ sprach zuletzt etwa CSU-Innenexperte Stephan Mayer, und der österreichische Außenminister Sebastian Kurz forderte, „der NGO-Wahnsinn“ müsse beendet werden. „Der Wind dreht sich gegen NGOs“, also Nichtregierungsorganisationen, sagt auch Hans-Peter Buschheuer von „Sea-Eye“ zu FOCUS Online.
Angst vor der Blockade
Aktuelles Beispiel: Italien. Das südeuropäische Land ist allererste Anlaufstelle für die meisten Flüchtlingsboote im Mittelmeer. Alleine in den letzten Tagen kamen über zehntausend Menschen an. Weil Italien aber die Versorgung der stetig wachsenden Zahl von Flüchtenden nicht mehr gewährleisten kann, droht Rom nun damit, seine Häfen für nicht-italienische Rettungsschiffe zu sperren. Italien will damit vor allem gegen die EU protestieren, die nicht genügend Unterstützung leiste. Aber sollte das Land seine Drohung wahrmachen, hätte das auch Folgen für die Seenotretter.
Zwar stellen die meisten Organisationen klar, dass sie die Schiffbrüchigen im Mittelmeer nicht selbst transportieren, sondern lediglich aus dem Wasser retten und dann die Seenotleitstellen verständigen. Von einem Hafenverbot wären sie somit nicht direkt betroffen. Aber: „Wenn nun die wenigen Schiffe der Rettungsflotte dazu gezwungen würden, noch weitere Wege in Kauf zu nehmen, hätten wir noch weniger Rettungskräfte im Einsatzgebiet“, sagt Ruben Neugebauer von der Organisation „Sea Watch“. „Sehr wahrscheinlich würden dann deutlich mehr Menschen sterben.“
Auch in Deutschland wird das politische Gewässer, in dem sich die Rettungsschiffe bewegen, zunehmend rauer. Die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ hat unlängst eine Spendenaktion gestartet, um ein eigenes Schiff ins Mittelmeer zu bringen – das die Retter bei ihrer Arbeit behindern soll. Und die Dresdner Initiative „Mission Lifeline“ bekam sogar Post von der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: „Versuch des Einschleusens von Ausländern.“ Dabei hatte die Gruppe noch gar kein Schiff gekauft. Die Ermittlungen seien nicht verwunderlich, sagt Neugebauer“, „immerhin hat 'Mission Lifeline' den Sitz ihrer Organisation mitten im sächsischen Sumpf.“ Buschheuer wiederum beschreibt die Klage als „pures politisches Manöver.“
Eine Sache, die Mut macht
Trotz der zunehmenden politischen Kritik ist das Spendenaufkommen für die Seenotretter nicht zurückgegangen. „Die Anzahl von Spenden blieb mehr oder weniger gleich“, sagt Pauline Schmidt von „Jugend Rettet“. Man habe eine große Zahl von Unterstützern, erklärt auch Ruben Neugebauer von „Sea-Watch“. Einzig die Initiative „Sea-Eye“ hat mit einem Spendenrückgang zu kämpfen – zugleich habe sich aber die Zahl der freiwilligen Helfer in diesem Jahr bereits von 500 auf 1000 verdoppelt. „Die bringen natürlich kein Geld mit, aber Arbeitskraft“, sagt „Sea-Eye“-Sprecher Hans-Peter Buschheuer.
„Aber das sagen sie natürlich nicht“
Wer mit den verschiedenen Seenotrettern spricht, spürt eine gewisse Routine: Angesichts der zunehmenden Angriffe auch aus der Politik ist das Erklären und Rechtfertigen zur Daueraufgabe geworden. Doch was wäre die Alternative? „Leute wie die Herren Sebastian Kurz oder Stephan Mayer bringen den Gedanken nicht zu Ende“, sagt Buschheuer. „Das Ende des Gedankens wäre: Wir müssen Menschen im Mittelmeer sterben lassen, um die Menschen in Libyen von der Überfahrt abzuschrecken. Aber das sagen sie natürlich nicht.“ Schmidt weist darauf hin: „Private Seenotrettung gibt es, weil die EU ihr Seenotrettungsprogramm eingestellt hat. Wir füllen eine staatliche Lücke, damit Privatpersonen nicht ertrinken.“
Das Dilemma der Seenotretter ist, dass sie gewissermaßen zu gut arbeiten. Die Grenzschutzagentur Frontex schlussfolgerte in ihrem Abschlussbericht für 2016, dass Schlepper und Flüchtende mittlerweile darauf vertrauen, im Notfall aus dem Mittelmeer gezogen zu werden. „Natürlich rechnen die flüchtenden Menschen damit, dass ihnen geholfen wird“, sagt auch Buschheuer. Den daraus resultierenden Vorwurf, Seenotretter würden mit ihrer Arbeit die Zahl der Migranten über das Mittelmeer noch weiter erhöhen, weisen die Helfer aber von sich.
„Die Gründe für die Flucht sind Hunger, Krieg, Terror“, erklärt Buschheuer. „Das ist weitaus gewichtiger.“ Und Jana Ciernioch von SOS Mediterranee ergänzt: „Um von ihrem eigenen Versagen abzulenken, werfen Politiker und EU-Institutionen NGOs vor, ein Pull-Faktor zu sein. Ohne unseren Einsatz würden nachweislich noch mehr Menschen auf der Flucht sterben, nicht aber weniger fliehen.“
Belastungsprobe für die Helfer
Tatsächlich ist die Zahl der Flüchtenden über das Mittelmeer nach der Ankunft privater Seenotretter gestiegen. Aber eine Studie der University of London zeigte erst diesen Juni: Der Anstieg verlief proportional zu den vergangenen Jahren, durch Seenotretter ist er nicht stärker geworden. Zumal die Zahl der Flüchtenden auch in jenem kurzen Intervall angestiegen war, in dem die EU ihr Seenotrettungsprogramm beendet hatte und private Initiativen noch nicht in die Bresche gesprungen waren.
Auch stimmt, dass die Boote, in die Flüchtende von ihren Schleppern gesteckt werden, immer unsicherer werden. Das liege aber vor allem daran, dass Frontex und die libysche Küstenwache die großen, sicheren Boote der Schlepper systematisch zerstören, argumentiert die Studie. Die Schlepper weichen daraufhin auf Schlauchboote aus, die Todeszahlen steigen.
„Die Helfer dann in die Mangel zu nehmen, ist scheinheiliges Moralaposteltum und unserer Ansicht nach ziemlich armselig“, ärgert sich Neugebauer von Sea Watch. Von ihrer Arbeit abhalten lassen sich die Seenotretter nicht: Sie wollen weitermachen, solange es nötig und möglich ist. Allerdings, sagt „Jugend Rettet“-Sprecherin Schmidt: „Es ist eine hohe Belastungsprobe für unsere Crews, wenn sie vor Ort Kleinkinder ertrinken sehen und dann heimkommen, nur um sich den haltlosen Vorwurf gefallen zu lassen, Schlepper zu sein.“
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