Schleswig-Holstein wird künftig von einer Jamaika-Koalition regiert. Wäre das auch im Bund möglich? Nach dem Grünen-Parteitag gibt es gerade in der Union viele Zweifel.
Nicht nur Donald J. Trump presst seine Botschaften in 140 Zeichen. Auch die Grünen packen Versprechen manchmal locker in Twitter-Format. „Katrin und ich unterschreiben keinen Koalitionsvertrag ohne Klimaschutz. Und Klimaschutz ist Kohleausstieg“, verkündete Cem Özdemir beim Parteitag der Grünen.
Die Spitzenkandidaten als Ober-Ökos. Nur wenige Tage später allerdings präsentierte sich derselbe Özdemir vor Industriemanagern wiederum als liberaler Wirtschaftsversteher: „Ich sehe meine Partei ganz in der Tradition Ludwig Erhards.“
Ramsauer schimpft über "industriefeindlichen Verbote"
Özdemirs Botschaften haben Kalkül: Die Grünen wollen sich im beginnenden Bundestagswahlkampf als eigenständige Kraft präsentieren, um am Ende auch mit Union und FDP koalieren zu können. Schwarz, Gelb, Grün, genannt Jamaika – so wie Mitte Juni in Schleswig-Holstein beschlossen. Wäre das auch ein Modell für den Bund nach dem 24. September?
In Umfragen kommt ein solches Bündnis momentan auf bis zu 55 Prozent der Stimmen. Doch einfach wäre eine solche Koalition nicht. Vor allem die Beziehungen zwischen CSU und Grünen sind, das sehen beide Seiten gleich, traditionell schlecht. „Verbot von Verbrennungsmotoren und Kohlekraftwerken ab 2030 – die Grünen haben auf ihrem Parteitag wohl einige Joints zu viel geraucht“, giftet CSU-Mann Peter Ramsauer, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses.
Wer solche „industriefeindlichen Verbote“ aufstelle, sei für die CSU „nicht koalitionsfähig“. Ähnlich sieht das Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Programm der Grünen sei „ein Rückfall in alte Muster und Ideologien“, sagt sie. „Da soll gesteuert, gezwungen, bestraft werden – mit erhobenem Zeigefinger und moralinsauer.“ So werde „die Axt an die wirtschaftlichen Grundlagen“ des Landes gelegt. Connemanns Fazit: „Mit diesen Grünen ist kein Staat zu machen.“
Kiel als Modell für Berlin?
Auch beim Thema Obergrenze für Flüchtlinge dürfte es zwischen CSU und Grünen heftige Konflikte geben, ebenso beim Thema Abschiebungen. Doch der Blick nach Kiel zeigt: Wenn es um Macht und Ministerposten geht, dann sind alle zu Kompromissen bereit.
CDU, Grüne und FDP wollen im Norden die Möglichkeit zur kontrollierten Freigabe von Cannabis – im Modellprojekt – prüfen. Hier geht es um mehr als ein drogenpolitisches Detail; es geht um ein Stück politischer Kultur mit Symbolwirkung. Ähnlich verhält es sich mit der sogenannten Ehe für alle, gegen die sich bislang die CDU sträubte. Auch sie soll im Norden kommen. Machtwille macht beweglich. Heute in Kiel, morgen in Berlin?
Jamaika-Parteien liebäugeln mit der Idee
Abseits der politischen Attacken im Bundestag und in Wahlkampfreden vertiefen Politiker von Union, FDP und Grünen schon lange ihre Kontakte. So hält CDU-Wahlkampfkoordinator und Kanzleramtsminister Peter Altmaier einen engen Draht zur grünen Partei- und Fraktionsspitze. Auch FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir verstehen sich gut. „Er ist ein guter Grüner“, lobte Lindner Özdemir vor einiger Zeit.
FDP-Präsidiumsmitglied Frank Sitta hätte daher nichts gegen Jamaika im Bund: „Es gibt bei den Grünen Leute, mit denen die FDP zusammenarbeiten kann.“ Eine Umfrage des CDU-Wirtschaftsrats bietet eine kleine Überraschung. Mit Abstand die meisten Mitglieder finden eine Koalition von Union und FDP am attraktivsten (72 Prozent). Auf Platz zwei: Jamaika mit 13 Prozent – und damit deutlich beliebter als eine Wiederauflage der großen Koalition, die nur auf vier Prozent Zustimmung stößt.
Viele Realpolitiker neigen nicht zu rigorosem Ausschließen. Robert Habeck, Umweltminister in Kiel und neuer Grünen-Liebling, jedenfalls grübelt schon: „Vielleicht landen wir in Jamaika.“ Und selbst hochrangige CSU-Politiker sagen unter der Hand, dass sie notfalls auch ein Jamaika-Bündnis mittragen würden.
An der FDP könnte Jamaika scheitern
Dabei kommt es wohl weniger auf die Union an als auf die FDP. Bei den Liberalen gibt es viele, die nach vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition vor einer Regierungsbeteiligung warnen. „Wichtiger als ein Ministeramt muss für uns erst einmal sein, dass wir unser Profil schärfen“, sagt ein führendes Parteimitglied. „Und das geht besser in der Opposition als in der Regierung.“
Ein weiteres Problem der Freien Demokraten: Sie müssen – anders als Union und Grüne – nach der Wahl erst eine funktionierende Fraktion aufbauen. Das kostet Zeit und lässt wenig Raum für parallel laufende Koalitionsverhandlungen. Volker Wissing (FDP), der als Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz mit SPD und Grünen regiert, sagt deshalb auch in Richtung Ökopartei: „Ein staatlich verordneter Ausstieg aus Technologien ist autoritäre Politik – weit weg von den Freidemokraten.“
Für Merkel ein Zweckbündnis
CDU-Chefin Angela Merkel sieht Jamaika pragmatisch als Zweckbündnis. Sie hat ihren Leuten schon vor langer Zeit eingebläut, dass die Doktrin des vorigen Jahrhunderts „niemals, niemals mit den Grünen“ nicht mehr gilt. In Hessen und Baden-Württemberg arbeiten CDU und Grüne seit Jahren kollegial zusammen. In Schleswig-Holstein ist es auch so gekommen.
In Merkels Umfeld setzen sie auf eine klare Mehrheit: Ein Bündnis mit nur ein, zwei Stimmen Mehrheit – also zum Beispiel nur Schwarz-Gelb oder nur Schwarz-Grün – will sie nicht machen. CSU-Mann Ramsauer wird bei der Vorstellung übel, was da möglich werden könnte: „Jamaika ist eine Trauminsel, aber eine Jamaika-Koalition ist ein Albtraum!“ Träume werden manchmal wahr. Albträume auch.
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