Der offene Brief von Seyran Ates an den Berliner Senat und die Humboldt-Uni hat es in sich: Die liberale Imamin wirft den beiden Institutionen darin vor, dass wichtige Entscheidungsträger des neuen "Instituts für Islamische Theologie" von Verbänden besetzt würden, die nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland verträten.
Das Institut soll ab dem Sommer Imame für Moscheen und Theologen für den Schuldienst in Deutschland ausbilden. Im Mittelpunkt der Kritik von Ates steht die Besetzung des Beirates, bei dem traditionell-konservativ ausgerichtete Verbände, wie etwa die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (Ditib), das Sagen hätten. Dem Beirat soll ein Vetorecht bei der Besetzung der Professorenstellen eingeräumt werden, wenn religiöse Zweifel bestehen.
Ditib betreibt zwar die meisten Moscheen in Deutschland und gilt als größter muslimischer Verband. Doch die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime ist in keiner muslimischen Organisation Mitglied. Zudem sind die Ditib-Moscheen umstritten, seit 2016 bekannt wurde, dass ihre Imame im Auftrag der türkischen Regierung in Deutschland spioniert hatten. Ditib untersteht direkt der türkischen Religionsbehörde Diyanet.
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Ates: „Politik lässt sich von konservativen Islam-Verbänden erpressen“
Ates kritisiert in ihrem Brief vor allem, dass die deutsche Politik liberale Muslime „jahrelang gebeten hat“, sich zu organisieren und „sichtbar“ in der Öffentlichkeit zu werden. Doch statt diese nun zu berücksichtigen, zeige die Politik ihnen nun „die kalte Schulter“. Die Politiker ließen sich von den Verbänden dadurch „erpressen“, dass diese immer wieder drohten, bei Debatten über einen moderaten Islam den Verhandlungstisch zu verlassen, wenn Muslime dazukämen, die von den Organisationen nicht akzeptiert würden. In den Augen von Ates ist die Besetzung des Insituts-Beirates deshalb „ein politisches Zeichen“, dass Senat und Uni die wachsende Bewegung liberaler Muslime in Deutschland „weder unterstützen noch in politische Prozesse einbeziehen wollen“.
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„Imame direkt aus dem Ausland einzufliegen wäre billiger für Steuerzahler“
Als zusätzliches Problem bei der Bekämpfung fundamentalistischer Strömungen innerhalb der konservativen Islam-Verbände erweist sich zudem immer wieder, dass der Islam im Gegensatz zu christlichen Religionen durch keinen Dachverband repräsentiert wird. Die Berücksichtigung aller Strömungen bei Debatten über den Islam in Deutschland sei daher umso wichtiger, argumentieren Kritiker.
Doch durch die geplante Besetzung des Instituts-Beirates an der Berliner Humboldt-Uni mache man sich erneut abhängig von Imamen, die in anderen Ländern ausgebildet würden, schreibt Seyran. Da könnte man „auch weiterhin Imame aus dem Ausland einfliegen“ und ihnen lediglich Deutschkurse bezahlen – „das wäre für den deutschen Steuerzahler billiger“.
Berliner Senat reagiert ausweichend auf harsche Vorwürfe
Der Berliner Senat regierte bislang ausweichend auf die harschen Vorwürfe von Ates, die sich auch gegen den Gründungsbeauftragten des Uni-Instituts, Michael Borgolte, richten. „In der Arbeitsgruppe unter Leitung von Professor Borgolte arbeiten die Humboldt-Universität zu Berlin und die Verbandsvertreter konstruktiv zusammen. Natürlich gibt es dabei auch Punkte, die intensiv diskutiert werden. Die Behauptung, das Land würde erpresst, weisen wir ausdrücklich zurück“, erklärte Senatssprecherin Claudia Sünder auf Anfrage von FOCUS Online.
Beirats-Verbände unter Extremismusverdacht
Neben Ditib sind auch andere Islam-Verbände, die in dem Uni-Gremium vertreten sein sollen, schon negativ aufgefallen – vor allem durch extremistische Tendenzen. So erkannte der Verfassungsschutz bei der „Islamischen Föderation Berlin“ (IFB) schon vor längerer Zeit Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Die IFB soll auch Verbindungen zur islamistischen Mili-Görüs-Bewegung unterhalten.
Ebenfalls unter Extremismusverdacht steht der „Verband der Islamischen Kulturzentren“ (VIKZ). Entgegen seiner offiziellen Darstellung soll er eine antiwestliche, antidemokratische und antijüdische Einstellung vertreten haben, fanden Ermittler heraus. Die Islamischen Gemeinschaft der Schiitischen Gemeinden (IGS), die ebenfalls dem Beirat angehört, ist laut Verfassungsschutz eng mit dem iranischen Mullah-Regime verbunden.
Morddrohungen nach Moschee-Eröffnung – Imamin unter Polizeischutz
Ates selbst hat im vergangenen Sommer in Berlin die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee eröffnet, in der Frauen gemeinsam mit Männern an Gottesdiensten teilnehmen können. Sie wies in ihrem offenen Brief darauf hin, dass die islamische Pluralität in dem Instituts-Beirat der Humboldt-Uni umso wichtiger sei, seit konservative und fundamentalistische Muslime die liberalen Gläubigen „massiv angreifen und bedrohen“. Ates selbst erhielt kurz nach der Eröffnung ihrer Moschee Morddrohungen und steht seitdem unter Polizeischutz.
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