Als angemessen hat Russland seine Reaktion auf die Ausweisung zahlreicher Diplomaten angekündigt. Und so ist sie auch gekommen. Für Deutschland heißt das nun: Vier Botschaftsmitarbeiter müssen das Land verlassen. So kommentiert die deutsche Presse den diplomatischen Streit.
„Russland muss den ersten Schritt gehen“
Rheinische Post (Düsseldorf): Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Aber dass Russland nichts mit dem Anschlag auf den britisch-russischen Doppelspion zu tun hat, ist eben ziemlich schwer zu glauben. Viel spricht dafür, dass das Gift in Russland produziert wurde, der Getötete ist ein ehemaliger russischer Spion, der die Seiten gewechselt hat. Warum sollten die italienische Mafia oder mexikanische Kriminelle den Mann auf dem Gewissen haben? (...)
Eine Annäherung der Seiten wäre so dringend wie wünschenswert angesichts der zahlreichen internationalen Konflikte. Aber Russland muss den Schritt gehen, Belege bringen, warum das Land mit dem Vorfall nichts zu tun hat. Vertrauensbildende Maßnahmen wären auch beim stockenden Minsk-Prozess hilfreich. Russland wird sonst im Juni eine Fußball-WM als isoliertes Land abhalten müssen. Es wäre schade.
„Uns muss doch auffallen, dass wir mit zweierlei Maß messen“
Nordkurier (Neubrandenburg): „Uns muss doch auffallen, dass wir gegenüber Russland und unseren westlichen Partnern mit zweierlei Maß messen. Oder haben wir US-Diplomaten ausgewiesen, nachdem die NSA unsere Kanzlerin abgehört hat? Solange das so bleibt; solange dieselbe Aktion bei einem Partner 'Friedensmission' und beim anderen 'Imperialismus' heißt – so lange tragen wir auch eine Mitschuld an den eisigen Beziehungen zu unserem Partner Russland.“
„Ohne glasklare Beweise schlägt weiter die Stunde der Verschwörungstheoretiker“
Neue Osnabrücker Zeitung: „Solange keine glasklaren Beweise veröffentlicht sind, schlägt weiter die Stunde der Verschwörungstheoretiker, die auch die Frage stellen, wer eigentlich von dem ganzen Theater profitiert: Premierministerin Theresa May, die von dem Brexit-Desaster ablenken kann? Die USA, die für Russland als Gaslieferant einspringen wollen? Klüger agiert Bulgarien, das gerade den EU-Ratsvorsitz innehat. Sofia will ohne Beweise keine Strafen aussprechen. Ähnlich hat sich der österreichische Kanzler Sebastian Kurz geäußert. Damit wären zwei Kandidaten für eine Vermittlerrolle gefunden.“
„Die Beteiligten kommen nicht aus ihrer Sackgasse heraus“
Neues Deutschland (Berlin): „Die Osterzeit als eine Zeit der Besinnung und Einkehr – nicht in diesem Jahr, nicht in der internationalen Politik: Just am Karfreitag bestellte Russland die Botschafter mehrerer Staaten ein, die Ausweisungen von Diplomaten folgte. Dies ist eine Reaktion auf die Ausweisung russischer Diplomaten. Der wiederum die vermutete Beteiligung Russlands im Fall Skripal zugrunde liegt. Die Abfolge sich stetig aufschaukelnder Reaktionen folgt dabei dem alttestamentarischen Prinzip des Strafens, des 'Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn'.
Erstaunlicherweise wissen die Beteiligten um die Sackgasse, in die sie sich damit begeben: Die jeweilige Reaktion des Gegenübers wird stante pede als 'unangemessen' bezeichnet, auch wenn sie eine genaue Spiegelung des eigenen vorherigen Schrittes ist. Nur kommen sie offenbar nicht aus dieser Logik heraus.“
„Die Bundesregierung hat sich früh hinreißen lassen, die Russen zu bestrafen“
Mitteldeutsche Zeitung (Halle): „Erstaunlich schnell haben sich viele europäische Regierungen, unter ihnen auch die Bundesregierung, der Position Großbritanniens angeschlossen. London sagt, Russland sei verantwortlich für den Anschlag mit einem chemischen Kampfstoff auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal, und verweist auf Geheimdiensterkenntnisse.
Das mag sogar stimmen. Doch das sind keine schlüssigen Beweise. Das wissen wir spätestens seit den angeblich hieb- und stichfesten Beweisen, wonach Saddam Hussein im Irak Massenvernichtungswaffen gehortet haben soll. Lehren sind aus dieser Geschichte offenbar nicht gezogen worden. Die Europäer, unter ihnen vor allem die Bundesregierung, haben sich zu früh hinreißen lassen, die Russen zu bestrafen. Eine mögliche Vermittlerfunktion haben sie damit aus der Hand gegeben.“
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