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Thursday, May 31, 2018

Fremdenhass soll Motiv sein - Fall ist einzigartig: Marokkaner stirbt durch Schuss aus einer Pfefferpistole

Fremdenhass soll Motiv sein: Fall ist einzigartig: Marokkaner stirbt durch Schuss aus einer Pfefferpistole
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Der Täter, ein 24-jähriger Deutscher, Sohn von Nachbarn, spricht von einem Akt der Notwehr, zudem hätte er nie gedacht, dass seine gasbetriebenen Waffe tödliche Folgen nach sich ziehen könnte. Eine Rekonstruktion der Ereignisse.

Hüttenstraße, Bergisch-Gladbach, Mitte April: Der Mann steht vor seiner offenen Garage und begutachtet den Vorrat an Autoersatzteilen. Auf dem Vorplatz stehen einige Fahrzeuge, meist älteren Datums. Natürlich kann er sich an die Sache mit dem Reifenstecher erinnern. „Der hat vor ein paar Wochen die ganze Straße hinauf die Autos platt gemacht, meinen Hänger auch“, knurrt der Händler. Zwar sei die Polizei da gewesen, „aber die haben mir ein Knöllchen wegen dem Nummernschild verpasst, anstatt den Täter zu fassen.“   

Natürlich hat er von den Gerüchten gehört, wer dahinter gesteckt haben soll. Bilal A., ein Nachbar mit marokkanischen Wurzeln. „Aber der ist ja nun tot“, brummelt der großgewachsene Mann.

Erschossen Ende März durch den Sohn eines Anwohners mit einer scheinbar harmlosen Pfefferpistole vom Typ Jet Protector JPX. Der Schütze, Alexander B., 24, sitzt seither in Untersuchungshaft. Sein Anwalt Gottfried Reims spricht von Notwehr, „da das Opfer meinen Mandanten zuvor mehrfach geschlagen hatte“. Die Staatsanwaltschaft hingegen geht derzeit von Totschlag aus. Demnach soll Alexander B. den Tod seines Widersachers billigend in Kauf genommen haben. Wie FOCUS Online nun erfuhr, hat die politische Abteilung im Justizzentrum die weiteren Nachforschungen übernommen. „Es ist nicht auszuschließen, dass der Tat ein fremdenfeindliches Motiv zu Grunde lag“, sagt Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Offenbar wurden auf dem Handy des Beschuldigten WhatsApp-Nachrichten mit entsprechenden Inhalten gefunden.

Einzigartiger Fall

Der Fall sucht bundesweit seinesgleichen. Und das nicht nur wegen eines etwaigen ausländerfeindlichen Hintergrunds. Bisher sind hierzulande keine tödlichen Attacken auf Menschen mit einer gasbetriebenen Pfefferpistole aktenkundig.

Die rechtliche Lage ist so komplex wie die Nachforschungen zu dem Fall. Der tödliche Eklat nimmt am 27. März gegen 11.20 Uhr seinen Lauf. Alexander B. richtet die Alarmanlage bei seinen Eltern in der Hüttenstraße ein. In den Tagen zuvor hatte ein Unbekannter die Reifen von fast 20 Autos zerstochen, den Lack zerkratzt und in einem Fall ein Hakenkreuz eingeritzt.

Als sein Widersacher Bilal A. auftaucht, entspinnt sich schnell ein heftiger Wortwechsel, der Streit eskaliert. Alexander B. hastet zu seinem Wagen, sein Widersacher folgt ihm und schlägt durch das offene Fenster auf ihn ein. B. greift zu seiner Pfefferpistole und schießt dem Angreifer einen Strahl Chili-Reizstoff gegen die Brust. Der so Getroffene taumelt zurück. Alexander B. steigt aus seinem Wagen, erneut geraten die Kontrahenten aneinander. Aus nächster Nähe zielt B. auf das Gesicht seines Gegners und drückt ab. Der Schuss zerfetzt dessen Auge. Das Opfer stirbt fünf Tage später an schweren Hirnverletzungen.

Wen trifft die Schuld in diesem Fall?

Augenzeugen wie dessen Schwester werden später von einer gezielten Attacke auf Bilal A. sprechen. Der Schütze beteuert indes, er habe geglaubt, sein Gegenüber würde ein Messer zücken. Seit Wochen kursierten in der Straße Gerüchte darüber, dass Bilal A. womöglich bewaffnet sei. Eine nächtliche Polizeistreife hatten den 30-Jährigen eines Nachts mit zwei Messer angetroffen.

Was ist wahr, was falsch? Wen trifft die Schuld in diesem Fall? Und: Hätte der Schütze wissen müssen, dass eine Pfefferpistole tödlich wirken kann? Seit gut einem Jahrzehnt werben Hersteller wie Piexon mit Modellen wie dem Jet Protector JPX als effizienten Schutz gegen Angreifer und vor allem gegen aggressive Hunde. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 430 Stundenkilometern feuert „das Home Defense Einsatzmittel der Spitzenklasse“ (Werbeslogan Piexon) seinen Reizstoff ab. In Sicherheitskreisen gelten die Modelle, die vom Aussehen her an eine Wasserpistole erinnern, im Vergleich zu Pfefferspraydosen als weit wirksamere Abwehrmittel.

So empfiehlt denn auch der Produzent auf seiner Homepage, mit dem Jet Protector JPX „immer direkt auf das Gesicht des Angreifers zu zielen.“ Denn dadurch wirke der Reizstoff „über die Schleimhäute, (Augen, Nase, Mund) und über die Atemorgane. Durch die offene Visierung mit Kimme und Korn wird das Zielen mit dem Jet Protector JPX auch für ungeübte private Benutzer vereinfacht und treffsicher.“

Waffe darf in Notwehrsituationen gegen Menschen verwendet werden

Im Jahr 2007 hatte das Bundeskriminalamt (BKA) das Modell als Tierabwehrgerät genehmigt. Seither sind diese gasbetriebenen Pfefferpistolen frei erhältlich. Ein Waffenschein ist nicht nötig. Das BKA hat nach Angaben gegenüber FOCUS Online auch keinen Mindestabstand in seiner damaligen Genehmigung empfohlen. Der Produzent fordert hingegen 1,5 Metern als Minimum ein und betont ausdrücklich, dass diese Waffe auch in Notwehrsituationen gegen Menschen verwandt werden dürfe.

Alexander B. hat laut Staatsanwaltschaft aus 30 bis 40 Zentimetern Distanz seine Pfefferpistole gegen den Kopf seines Widersachers gerichtet. Macht ihn das zum Totschläger? „Diese Frage läuft an dem entscheidenden Punkt in dem Fall vorbei“, konstatiert B‘s Strafverteidiger Reims. „Denn eigentlich geht es darum, dass mein Mandant durch die Produktbeschreibung der Pfefferpistole nie auf die Idee gekommen ist, dass diese Waffe hätte tödlich wirken können.“ Zumal weder Waffenschein noch sonstige Vorsichtsmaßnahmen für den Gebrauch des Jet Protectors nötig gewesen seien. „Mein Klient wollte sich nur gegen die Attacken des Angreifers verteidigen, der auch noch laut Aktenlage für die voran gegangenen Reifenstechereien verantwortlich gewesen sein soll.“ Die Staatsanwaltschaft wird nach eigenen Angaben den Fall auch unter diesen Gesichtspunkten untersuchen.

Das BKA will nach dem tödlichen Ausgang in Bergisch-Gladbach offenbar seine Genehmigung nochmals überdenken, Pfefferpistolen vom Typ Jet Protector JPX waffenscheinfrei zuzulassen. Gegenüber FOCUS Online kündigte eine Sprecherin auf Anfrage via Mail an, man werde „die zum Sachverhalt vorliegenden Erkenntnisse beiziehen“ und eingehend prüfen.

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