Viele Flüchtlinge durften zwei Jahre lang keine Angehörigen nach Deutschland holen. An diesem Mittwoch ändert sich das. Dann wird der Familiennachzug auch für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus nach langem Hin und Her zwischen Union und SPD wieder möglich, wenn auch in engen Grenzen. Welche Regeln beim Familiennachzug gelten.
Wer darf seine Familie zu sich holen?
In dem neuen Gesetz geht es nur um die Gruppe der sogenannten subsidiär Schutzberechtigten. Subsidiären Schutz erhalten Menschen, die in ihrer Heimat nicht politisch verfolgt werden, bei einer Rückkehr ins Herkunftsland aber trotzdem in Gefahr wären – etwa weil dort Krieg oder Folter herrschen. Das betrifft vor allem Flüchtlinge aus Syrien.
Wer in seiner Heimat politisch verfolgt wurde oder nach der Genfer Konvention als Flüchtling anerkannt ist, darf ohnehin seine Familie nachholen. Und zwar auch dann, wenn er für deren Unterhalt nicht selbst aufkommen kann.
Das bedeutet: Bei subsidiär Schutzberechtigten handelt es sich weder um anerkannte Asylbewerber, noch um Menschen mit Flüchtlingsstatus, wie ihn die Genfer Flüchtlingskonvention definiert. Nach ihren Kriterien gilt ein Mensch als Flüchtling, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung sich außerhalb seines Heimatlandes befindet.
Wie lange gilt der subsidiäre Schutz?
Der subsidiäre Schutz gilt in Deutschland und in anderen EU-Staaten in der Regel für ein Jahr. Er kann gegebenenfalls um zwei Jahre verlängert werden und theoretisch nach fünf Jahren unter bestimmten Bedingungen in eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung münden. Subsidiären Schutz hatten in Deutschland zuletzt vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak erhalten.
Welche Angehörigen dürfen kommen?
Erwachsene können Ehepartner – deren Ehe im Heimatland geschlossen wurde – und minderjährige Kinder zu sich holen. Auch die Eltern unbegleiteter minderjährigen Flüchtlinge erhalten Visa. Allerdings nur dann, wenn das Kind in Deutschland nicht mit einem Verwandten zusammenlebt. Für den Familiennachzug zu den Eltern ist entscheidend, dass bereits vor dem Erreichen der Volljährigkeit ein formloser Antrag bei einer deutschen Botschaft oder einem Konsulat gestellt wurde.
Nicht nachzugsberechtigt sind etwa Großeltern oder Geschwister hier lebender Flüchtlinge, auch dann nicht, wenn sie minderjährig sind.
Wie viele Menschen dürfen nachgeholt werden?
Pro Monat werden maximal 1000 Angehörige nach Deutschland kommen dürfen. Da die Prüfung und Auswahl der Anträge in der Anfangsphase wohl nicht so schnell laufen wird, hat sich die Große Koalition darauf geinigt, dass in den ersten fünf Monaten (von August bis Ende Dezember 2018) insgesamt 5000 Menschen Visa erteilt werden sollen. Ab Januar gilt dann aber eine starre Kontingent-Regelung von 1000 Visa pro Monat.
Aktuell gibt es bereits 34 000 Terminanfragen von Antragstellern bei den deutschen Auslandsvertretungen. Allerdings stammen viele dieser Anfragen aus dem Herbst 2016. Nicht alle Menschen, die sich damals um ein Visum zum Familiennachzug bemüht hatten, dürften dies heute noch wollen.
Nach welchen Kriterien wird das Kontingent vergeben? Wer darf zuerst kommen?
Entscheidend dafür, wer eines der 1000 Visa pro Monat bekommt, sind humanitäre Kriterien. Dazu zählen zum Beispiel die Dauer der Trennung, das Kindeswohl, und die Frage, ob den Angehörigen dort, wo sie aktuell leben, Gefahr für Leib und Leben droht. Außerdem soll berücksichtigt werden, ob jemand krank oder pflegebedürftig ist.
Kommen mehrere dieser humanitären Aspekte zusammen, erhöht das die Chancen, ausgewählt zu werden. Erst an zweiter Stelle werden Integrationsaspekte eine Rolle spielen, beispielsweise ob der in Deutschland lebende Flüchtling bereits eine Arbeit und eine Wohnung gefunden hat, oder ob die Angehörigen Deutschkenntnisse vorweisen können. Pluspunkte erhalten Antragsteller, die zur Sicherung des Unterhalts der Familie beitragen.
Im Video: "Sicheres Herkunftsland" bedeutet nicht automatisch Abschiebung
Was passiert mit dem 1001. Antragsteller?
Wer es in das Kontingent von 1000 Angehörigen pro Monat schafft, weil etwa andere Familienangehörige mehr humanitäre Kriterien erfüllt, rutscht in die Auswahlrunde für den neuen Monat. Hier allerdings beginnt die Gewichtung – und damit die Auswahl der Antragsteller – von vorne. Das bedeutet: Wartezeiten werden Angehörigen, die es in der ersten Runde nicht geschafft haben, nicht angerechnet. Ihr Antrag muss in der neuen Runde wieder anhand der Auswahlkriterien gegen alle anderen bestehen.
Wer entscheidet?
Die Botschaften und Konsulate vergeben Termine für den Antrag auf Familiennachzug. In Ländern wie Libanon und Jordanien, wo Tausende schon seit zwei Jahren auf ein Visum warten, kontaktiert die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Menschen, die auf den Terminlisten stehen, um herauszufinden, ob sie noch am gleichen Ort wohnen. Die deutschen Auslandsvertretungen nehmen dann die Visumsanträge entgegen, prüfen, Identität und Verwandtschaftsbeziehungen.
Die Ausländerbehörde am deutschen Wohnort des Flüchtlings kontrolliert, ob etwas dagegen spricht - zum Beispiel, wenn der Flüchtlinge eine schwere Straftat begangen hat - und schildert die humanitären Gründe für ein Visum. Das Bundesverwaltungsamt, das dem Innenministerium untersteht, entscheidet, welche Antragsteller zuerst kommen dürfen. Die Auslandsvertretungen stellen die Visa aus.
Welche Kritik gibt es?
Aus Sicht von Rechtsexperten weisen die Regeln zum Familiennachzug schwere Mängel auf. „Das ist im Ergebnis ein völlig justizfreier Raum“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, Thomas Oberhäuser.
Er moniert: „Welches Gewicht die Kriterien haben, die das Bundesverwaltungsamt seiner Entscheidung zugrunde legt, kann im Einzelfall nicht nachvollzogen werden“. Selbst wenn sich die genaue Gewichtung der Kriterien im Einzelfall nachvollziehen ließe, „müsste man ja genau wissen, wie die Kriterien bei allen anderen Bewerbern auf Familiennachzug gewichtet wurden - was unmöglich ist“, so Oberhäuser weiter.
„Es geht nur um eine Ermessensentscheidung. Damit hat ein Gericht keine klaren Kriterien zur Beurteilung einer Entscheidung“, sagt auch Bellinda Bartolucci, Rechtsexpertin bei Pro Asyl. Sie hält Klagen der Betroffenen für wahrscheinlich – und richtig.
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae erklärte, das Gesetz tauge nichts. „Die Familiennachzugsregelung ist dilettantisch, weil sie unter anderem zu erheblichen Unsicherheiten im Vollzug führt.“ Thomae hält das Kontingent von 1000 Menschen im Monat für willkürlich: Anstatt klar formulierter Kriterien für Härtefälle gebe es nun „eine starre Obergrenze, die nicht praxistauglich ist“, so der FDP-Fraktionsvize.
Wie war die Regelung früher?
Den subsidiären Schutz gibt es erst seit 2013. Mit der Einführung dieser neuen Kategorie wurde eine EU-Richtlinie umgesetzt. Vorher gab es für diese Menschen meist nur den Abschiebeschutz. Im August 2015 wurde für Ausländer mit subsidiärem Schutz der Familiennachzug erlaubt.
Im März 2016 wurde diese Möglichkeit mit den Stimmen der Großen Koalition wieder abgeschafft - erst einmal für zwei Jahre. Da sich die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl vom September 2017 über Monate hinzog, wurde die Aussetzung bis Ende Juli 2018 verlängert.
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