Rechercher dans ce blog

Saturday, September 1, 2018

Politik - Herr Seehofer, was muss in diesem Land passieren, damit Bäcker Ahmadi aus Afghanistan weiter bei uns arbeiten kann?

FOCUS Magazin | Nr. 35 (2018)
Politik: Herr Seehofer, was muss in diesem Land passieren, damit Bäcker Ahmadi aus Afghanistan weiter bei uns arbeiten kann?
Danke für Ihre Bewertung!
0
Viele Migranten bekommen kein Asyl – haben aber einen Job. Unternehmer fordern, dass die begehrten Fachkräfte bleiben dürfen. Das sorgt für Streit, doch eine Lösung zeichnet sich ab

„Grüß Gott!“, sagt Naseer Ahmadi, 37, zur Begrüßung. Es ist Mittwoch, 13 Uhr, seine Schicht in der Bäckerei Müller in Prien am Chiemsee liegt gerade hinter ihm. Deutsch spricht der Afghane mit bayerischem Akzent. „Ich zahle hier seit drei Jahren meine Steuern, ich zahle meine Wohnung selbst. Die liegt nur vier Minuten entfernt mit dem Radl.“

Ahmadi, der aus dem Norden Afghanistans stammt, fertigt Zwetschgendatschi, Torten und Plunderteilchen in dem Familienbetrieb von Luitpold Müller, 35. Und das, so will es der Unternehmer, soll auch so bleiben. „Naseer hat sich von Anfang an voll reingehängt“, lobt der Bäckerei-Eigentümer. „Ich brauche ihn dringend. Leute wie ihn abzuschieben, die sich hier ein Leben aufgebaut haben, wäre ein Wahnsinn.“

Bamf kassierte seine Arbeitserlaubnis - jetzt wird er doch Weißbäcker

Aber genau das wäre fast passiert. Ahmadi kam 2013 als Asylbewerber nach Bayern, weil es ihm in seiner Heimat zu gefährlich war. Im Januar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seinen Asylantrag ab. Im Juni kassierte die Behörde seine Arbeitserlaubnis.

Luitpold Müller machte Druck bei den CSU-Landtags- und Bundestagsabgeordneten seines Wahlkreises, beschwerte sich, telefonierte mit Ämtern. Im Juli bekam Ahmadi seine Arbeitserlaubnis zurück. Ab Herbst darf er – bisher vom Bamf abgelehnt – eine dreijährige Lehre als Weißbäcker beginnen, dann kann er noch zwei Jahre in Deutschland arbeiten. Nach dieser Frist wäre alles wieder offen.

Ausbildung als einzige Chance, obwohl er bereits ausgebildet ist

Eigentlich braucht Ahmadi keine Lehre, er ist bereits Konditor. Aber eine Ausbildung mit anschließender Arbeitsmöglichkeit, im Bürokratendeutsch „3+2-Regelung“ genannt, ist zurzeit die einzige Möglichkeit, einen Mitarbeiter zu halten, der nur Duldungsstatus besitzt. Das, findet der Firmenchef, muss sich ändern: Er will nicht drei Jahre in eine Ausbildung investieren, wenn sein Mitarbeiter als fertig Ausgebildeter nur noch 24 Monate bleiben darf.

Was Müller will, wünschen sich auch viele andere Unternehmer in Deutschland. Aktuell können Firmen rund eine Million Stellen nicht besetzen. Vor allem im Handwerk fehlt es an Nachwuchs.

"Spurwechsel" als Lösung?

Eine Lösung, genannt „Spurwechsel“, zeichnet sich nun ganz allmählich ab. Jemand wie Naseer Ahmadi, der kein Asyl bekommt, aber in die Steuer- und Abgabenkassen zahlt, könnte dann eben auf die Spur der Fachkraft wechseln – mit langfristiger Aufenthaltserlaubnis. „Ich höre immer wieder von Unternehmern, die geduldete Flüchtlinge beschäftigen: ,Das ist der beste Lehrling, das ist der beste Mitarbeiter, den ich je hatte. Der darf auf keinen Fall abgeschoben werden‘“, meint Horst Seehofer.

Der CSU-Chef und Bundesinnenminister hätte gern eine pragmatische Lösung: Er möchte keine Migranten hinauswerfen, die längst arbeiten und Steuern zahlen. So sehen es auch viele seiner Parteifreunde in der Union. „Wir müssen Potenziale für unser Land gewinnen und sichern“, findet beispielsweise CDU-Bundesvorständlerin Serap Güler. Die Integrationsstaatssekretärin in NRW sieht gerade in der Pflegebranche großen Bedarf.

Als Kompromiss zeichnet sich eine Stichtagsregelung ab

Wie der „Spurwechsel“ umgesetzt werden soll, ist allerdings umstritten. „Unsere Organisation ist in dieser Frage quer zerrissen“, sagt Hans Michelbach, Chef der Mittelstandsunion (MIT) und stellvertretender Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Deshalb habe er „eine Sondersitzung der Mittelstandsunion zu diesem Thema beantragt“. Zum einen kennt Michelbach, selbst Unternehmer, die Probleme der Firmeninhaber. Zum anderen warnt er: „Wir wollen keinen neuen Anziehungsfaktor für mehr Migration.“

Viele Arbeitskräfte, die jetzt in der Hochkonjunktur einen Job fänden, würden schnell in der Arbeitslosigkeit landen, wenn die Wirtschaft nicht mehr laufe. „Die gleichen Unternehmer, die uns jetzt wegen der Fachkräfte beknien, geben uns dann die Schuld, wenn die Arbeitslosenbeiträge wieder steigen.“

Als ein möglicher Kompromiss zeichnet sich eine sogenannte Stichtagsregelung ab. Soll heißen: Wer wie Konditor Ahmadi schon längere Zeit vor einem Stichtag einem Job nachging und straffrei lebt, soll eine Perspektive bekommen.

30.000 abgelehnte Asylbewerber könnten profitieren

Neben Ahmadi könnten rund 30.000 weitere abgelehnte Asylbewerber davon profitieren.

Der CDU-Arbeitsmarktexperte Thomas Heilmann wirbt ebenfalls für eine einmalige Stichtagsregelung: „Die könnte für alle Altfälle gelten, die die Kriterien des neuen Einwanderungsgesetzes erfüllen und die sich bislang rechtstreu verhalten haben“, sagt Heilmann. Der CDU-Politiker will den Begriff „Spurwechsel“ allerdings vermeiden: „Das würde bedeuten, dass man auf der Spur des Asylbewerbers anfangen und in der Spur des Arbeitsmigranten weitermachen kann.“

So sieht es auch Markus Söder. Bayerns wahlkämpfender Ministerpräsident sucht einen mittleren Kurs: Er kennt die Klagen der Wirtschaft, er weiß auch, dass 58 Prozent der Deutschen (Insa-Umfrage) gegen die Abschiebung abgelehnter, aber arbeitender und gut integrierter Asylbewerber sind. „Einen ‚Spurwechsel‘ in der Asylpolitik braucht es nicht“, sagt Söder. „Wir wollen eine rasche Abschiebung von Straftätern. Aber gleichzeitig mehr Spielräume für gut integrierte Menschen. Gerade dem Handwerk wollen wir helfen.“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sorgt sich um die Wählermehrheit, aber auch um die Unternehmen: „Zunächst erwarten die Menschen, dass wir das Recht durchsetzen und diejenigen abschieben, die rausmüssen. Die schnellere Durchsetzung von Recht kann dann eine gesellschaftliche Grundlage für mehr Akzeptanz bilden in Fällen von Migranten, die sich bemüht haben.“

„Ein Gebot der Vernunft, auf Rückführungen zu verzichten“

In der Wirtschaft plädieren die meisten Vertreter sowieso für eine lebensnahe Lösung. So fordert Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer ein Bleiberecht für Migranten, die sich in einem stabilen Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis befinden und sich in Deutschland gut eingelebt haben. „In solchen eng begrenzten Fällen ist es ein Gebot der Vernunft, auf eine Rückführung in die Heimatländer zu verzichten“, sagt Wollseifer.

Bei so viel deklaratorischer Einigkeit stellt sich die Frage: Warum gibt es die Regelung für die 30000 Fälle nicht schon längst? Der Koalitionspartner SPD und die Grünen im Bundesrat dürften sie ja kaum ernsthaft behindern.

Das Grundproblem: Deutsche Politiker können keine Migrationspolitik

Es handelt sich um ein grundsätzliches Problem: Deutsche Politiker können keine Migrationspolitik. Seit den sechziger Jahren kamen Gastarbeiter – und die Bonner Verantwortlichen hofften lange, sie würden wieder gehen. Rot-Grün unter Gerhard Schröder debattierte ein Einwanderungsgesetz – schaffte es aber nicht, klare Kriterien zu formulieren. Und Angela Merkel wollte mit ihrer Grenzöffnung 2015 irgendwie alles: jeden erst einmal aufnehmen, Deutschland als moralische Großmacht etablieren – und den Fachkräftemangel gleich mit beheben.

In der Praxis funktionieren noch nicht einmal die Provisorien besonders gut. Viele Unternehmer ärgern sich, dass die sogenannte 3+2-Regelung in den Bundesländern oft ebenso unterschiedlich wie umständlich gehandhabt wird. „Wir erleben es immer wieder, dass junge Menschen, die hier in den Betrieben arbeiten, trotzdem abgeschoben werden“, klagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Baugewerbes.

Der bayerische Ausbildungsleiter Joachim Bauer etwa, der mehrere junge Afghanen erfolgreich für den Job trainiert hatte, musste am Ende vor der Bürokratie kapitulieren. Die Afghanen dürfen zwar noch einige Wochen weiterarbeiten. Dann sollen sie aber zurück, um von Afghanistan aus ein Visum samt Arbeitserlaubnis zu beantragen. „Wir bräuchten sie dringend“, sagt Bauer. Er will seinen richtigen Namen und den der Firma nicht in der Presse lesen. Bei dem Weltmarktführer sorgt man sich, dass die Behörde dann erst recht Probleme machen könnte.

Wie das künftige Modell für fleißige Migranten heißt, ist Unternehmern wie Luitpold Müller aus Prien egal. „Es muss nur“, verlangt er, „schnell eine Regelung geben.“

Die Forderung der Wirtschaft: schneller Spurwechsel

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Baugewerbes:

Die 3+2-Regelung wird in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Wir erleben es immer wieder, dass junge Menschen, die hier in den Betrieben arbeiten, trotzdem abgeschoben werden.“

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks:

Ich bin für ein Bleiberecht von Migranten, die sich in einem stabilen Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis befinden und sich hier gut eingelebt haben. Es ist ein Gebot der Vernunft, in diesen Fällen auf Rückführung zu verzichten.“

Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags:

Ein einmaliger Statuswechsel käme den gut integrierten Geduldeten und Flüchtlingen hier zugute, würde aber gleichzeitig neue Anreize für den weiteren Zuzug von Wirtschaftsflüchtlingen verhindern.“

Luitpold Müller, Chef einer Bäckerei in Bayern:

Gute Fachkräfte abzuschieben, die sich hier ein Leben aufgebaut haben, das wäre ein Wahnsinn. Wie die Lösung heißt, ist nicht so wichtig. Es muss nur eine Regelung für das Problem geben.“

Die Debatte in der Union: den Firmen helfen

Thomas Heilmann, CDU-Bundestagsabgeordneter und Arbeitsmarktexperte:

Eine Stichtagsregelung könnte für alle Altfälle gelten, die die Kriterien des neuen Einwanderungsgesetzes erfüllen und die sich bislang rechtstreu verhalten haben. Wir sollten aber den Begriff Spurwechsel vermeiden.“

Uwe Schummer, Sprecher der CDU-Arbeitnehmergruppe:

Diejenigen, die arbeiten oder in Ausbildung sind und schon gut integriert, sollten bleiben dürfen. Es wäre eine Verschleuderung von Potenzial, solche Menschen wieder wegzuschicken, vor allem bei Mangelberufen.“

Serap Güler, Bundesvorstandsmitglied der CDU:

Wir müssen weg von den Schlagworten. Wir haben heute schon für Auszubildende die 3+2-Regelung. Auch dabei wird die Spur gewechselt. Das kann man auch auf Mangelberufe, beispielsweise in der Pflege, erweitern.“

Hans Michelbach, CSU-Landesgruppenvize und Chef der Mittelstandsunion:

Viele Arbeitskräfte, die jetzt in der Hochkonjunktur einen Job finden, würden schnell in der Arbeitslosigkeit landen, wenn die Wirtschaft weniger gut läuft. Am ehesten kann ich mit einer Stichtagsregelung leben.“

Sollen abgelehnte Asylbewerber, die einen Job haben und integriert sind, abgeschoben werden?

In unserem Meinungsforum debattieren unsere Leser das Thema der Woche. Eine Auswahl der Texte drucken wir nächste Woche auf der Leserdebatten-Seite ab. Bedingung: Sie schreiben unter Ihrem echten Namen.

Beiträge: https://ift.tt/1ceukul

Mails an: debatte@focus.de

Lesen Sie auch

Let's block ads! (Why?)

No comments:

Post a Comment

Search

Featured Post

Granblue Fantasy: Relink's Demo Will Make a Believer Out of You - Kotaku

depolitikblog.blogspot.com Before multiple friends of mine went out of their way to sing the praises of Granblue Fantasy: Relink to ...

Postingan Populer