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Sunday, December 30, 2018

Politik - Die Frau, die Kurz kleinkriegen will

FOCUS Magazin | Nr. 52 (2018)
Politik: Die Frau, die Kurz kleinkriegen will
Von wegen Arbeiterführerin! Die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner setzt auf Frauen-Power, um Österreichs Sozialdemokraten wieder an die Spitze zu bringen

Dieser Text erschien in FOCUS-Ausgabe 52 vom 22. Dezember.

Die Genossen fremdeln noch ein wenig. Als Joy Pamela Rendi-Wagner bei ihrem ersten internationalen Auftritt auf die Bühne gerufen wird, stellt das Präsidium der Europäischen Sozialdemokraten die neue SPÖ-Chefin als Ärztin, erst danach als Politikerin vor. Zu unbekannt noch das Gesicht der Polit-Newcomerin, die vor einem Monat als erste Frau in 130 Jahren an die Spitze der österreichischen Sozialdemokraten rückte und nicht einmal zwei Jahre Parteimitglied war. Die Neue spricht denn auch zunächst über Gesundheitspolitik, die mehr Europa brauche, weil Seuchen keine Grenzen kennen.

Grenzüberschreitend ist auch ein anderes Phänomen, um das sich nicht die Ärztin, sondern die Politikerin Rendi-Wagner sorgen muss: der Niedergang der europäischen Sozialdemokratie, die nur noch in sechs Staaten den Regierungschef stellt. In den meisten anderen ist sie in der Opposition. So auch in Österreich, wo die SPÖ in Umfragen immerhin noch bei etwa 25 Prozent liegt. Auch für die Europawahlen im Frühjahr 2019 sind die Aussichten düster: Die EVP wird Umfragen zufolge erneut stärkste Kraft werden, während die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten im Europaparlament von 187 auf unter 150 sinken könnte.

Ihr politisches Vorbild? Berufstätige Mütter

Die Fragen, die sich die einst so selbstbewussten Sozialdemokraten in Europa stellen, ähneln sich. Lassen sich die von den klassischen Arbeiterparteien Enttäuschten von den neuen Rechten zurückgewinnen? Braucht es dafür einen linken Populismus à la Jeremy Corbyn in Großbritannien? Oder liegt die rote Zukunft in der berühmten politischen Mitte?

Rendi-Wagner antwortet auf solche Fragen am liebsten, dass es nicht um links oder rechts gehe, sondern um vorn. Ihr politisches Vorbild? „Jede Frau, die ihren Alltag zwischen Kindern, Job und Mietezahlen hinkriegt.“ Das allererste Buch, das sie politisch bewegt hat? „Die feuerrote Friederike“ von Christine Nöstlinger. Darin geht es um ein Mädchen mit feuerroten Haaren, das von allen gehänselt wird, weil es eben anders ist als alle anderen.

Rendi-Wagner will sich nicht in politische Schubladen stecken lassen. Wer sie beobachtet, sieht die SPÖ mit ihr auf dem Weg zu einer progressiven, grün angehauchten und feministischen Mittelstandspartei. Als traditionelle Arbeiterkämpferin wäre die Medizinerin mit internationaler wissenschaftlicher Karriere ohnehin nicht durchgegangen. Mit ihrer gewählten Ausdrucksweise und dem femininen Modegeschmack wirkt sie eher wie eine französische Uni-Professorin. Stallgeruch, Hausmacht, Ochsentour sind Fremdwörter für sie.

„Rechtspopulistische“ Debatten lässt sie bewusst aus     

Dennoch setzt die 47-Jährige auf klassisch sozialdemokratische Themen. Und immer wieder auf Frauen. Sie will „für die Köchin da sein, die unter dem 12-Stunden-Gesetz leidet“, für „die Alleinerziehende, die in Oberösterreich nicht mehr ganztags arbeiten kann, weil die Kindergärten mehr kosten oder schließen“. Ganz abnehmen mögen ihr die Österreicher das sozialpolitische Engagement noch nicht – auch wenn der Boulevard erst einmal entzückt „Yes, we Pam“ titelte und manche sie ein politisches Naturtalent nannten.

Zu intellektuell, zu differenziert, nicht hart genug lautet die Kritik nach den ersten Wochen in und außerhalb der Partei. Tatsächlich betreibt Rendi-Wagner sachliche Oppositionspolitik. Als die Regierung etwa ein Konzept zur Finanzierung der Altenpflege vorlegte, konterte sie mit einem durchdachten roten Gegenmodell. Als ein gefängnisartiges Asylquartier für Minderjährige an der Grenze zu Tschechien Schlagzeilen machte, schwieg sie jedoch. Motto: nur ja nicht über das, was die Rechtspopulisten umtreibt, sprechen. Wohnen, Gesundheit, Soziales, Bildung, das sei die „DNA der Sozialdemokratie“, sagt sie. „Hier liegt unsere Kompetenz.“

Es braucht viel Gelassenheit, sich von Österreichs Regierung nicht in die periodisch inszenierten „rechtspopulistischen“ Sicherheitsdebatten drängen zu lassen. Noch schwieriger ist es, dabei nicht den Eindruck zu vermitteln, die Probleme einer Einwanderungsgesellschaft zu leugnen. Kann das funktionieren?

Klassische Aufstiegs-Saga

Rendi-Wagner kommt entgegen, dass es die Grünen nicht mehr ins Parlament schafften und damit rund vier Prozent der Wähler heimatlos ließen. Zudem wird die rechtskonservative Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) von starken Männern und harten Themen wie Sicherheit, Migration und Integration dominiert. Im Kabinett seien die Protagonisten männlich und machten männliche Politik, sagt die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Die rote und grüne Wählerschaft ist dagegen weiblich. Die SPÖ hofft auf einen „Gender-Effekt“. Es ist kein Zufall, dass Rendi-Wagner den schneidigen Kanzler öffentlich gern mit „Sebastian“ anspricht. Ganz so, als würde eine wohlmeinende Mutter ihren großspurigen Sohn tadeln.

Dass die SPÖ ihre Wähler von den Rechten zurückholt, hat sie unter der neuen Parteichefin offensichtlich abgeschrieben. Stattdessen setzt die Partei auf die Öffnung der Sozialdemokratie in Richtung Grüne und kritisches Bürgertum.

Rendi-Wagners Biografie, sorgsam inszeniert von ihrem Team, scheint dafür wie geschaffen: Da wird ihre griechischstämmige, alleinerziehende Mutter hervorgeholt, die ihr Kind im Wiener Gemeindebau großzog und nebenbei eine Ausbildung zur Kindergärtnerin machte. „Ich war das erste und das letzte Kind im Kindergarten“, erinnert sich Rendi-Wagner. „Meine Mutter habe ich nie anders als arbeitend erlebt.“ Dem Vater, einem Hippie, verdankt sie ihren Vornamen Joy und den Kontakt mit feministischer Literatur. Was folgte, ist eine soziale Aufstiegsgeschichte, eine Blaupause für das große Versprechen der Sozialdemokratie.

Sie studierte Medizin und machte einen Master in Public Health an der University of London. Da war sie schon mit ihrem späteren Mann Michael Rendi zusammen, einem Diplomaten aus angesehener jüdischer Familie. Als er 2008 Botschafter in Israel wurde, nahm sie eine Gastdozentur in Tel Aviv an und lernte Hebräisch. In Israel kam die zweite Tochter zur Welt, nach der Geburt der ersten hatte sie habilitiert.

2011 übernahm sie die Abteilungsleitung Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium in Wien. Schnell fiel die Epidemie- und Impfexpertin auf: als telegen, souverän, kompetent. Auch Ex-SPÖ-Chef Christian Kern wurde auf sie aufmerksam. Er machte sie zur Gesundheitsministerin und Nummer zwei im Wahlkampf. Als Kern im Herbst nach zwei Jahren das Handtuch warf, schlug er die Quereinsteigerin als Nachfolgerin vor.

An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht

Können Europas Sozialdemokraten von Österreich lernen? „Bei uns zeigt sich, dass die FPÖ für die ÖVP den Steigbügelhalter beim Sozialabbau macht. Das gilt es aufzuzeigen“, meint Rendi-Wagner. „Aufzeigen, dass es den rechten Parteien, sobald sie in Regierungsverantwortung sind, nicht um Menschen und ihre Lebenssituationen geht, sondern um Macht und Einfluss. Und dass sie dafür bereit sind, alle Versprechen über Bord zu werfen und massive Kürzungen mitzutragen.“

So weit die Diagnose. Ob Dr. „Pam“ auf die richtige Medizin setzt und ob sie länger als ihr Förderer und Vorgänger Kern durchhält? „Ja, werde ich“, sagt sie. „Weil ich nicht er bin.“ An Selbstbewusstsein mangelt es ihr jedenfalls nicht.

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